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17.01.2021 Leon Müller

Ex-Burda-Manager Stefan Winners: "Investiere in Amazon, Paypal, SAP, ..."

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Amazon.com

Stefan Winners gilt als Vorreiter der Digitalisierung in Deutschland. Als Vorstand von Tomorrow Focus und Hubert Burda Media prägte er jahrelang die Internet-Landschaft in Deutschland. Inzwischen hat er die Seiten gewechselt, arbeitet für den Venture-Capital-Primus Lakestar. Im Gespräch mit AKTIONÄR-Chefredakteur Leon Müller verrät er, woran es in Deutschland mangelt und wo er privat investiert.

15 Jahre lang war er im Hamsterrad unterwegs, kämpfte als Vorstand der Tomorrow Focus AG und später Hubert Burda Media Holding für die effiziente Umsetzung digitaler Konzepte und Unternehmen. So war er als CEO der Burda Digital SE Aufsichtsratschef von New Work/Xing sowie der HolidayCheck Group AG und im Aufsichtsrat der Zooplus AG. Dann die Vollbremsung: Stefan Winners nahm sich eine Auszeit, tat wochenlang nichts, bekam den Kopf wieder frei. Jetzt ist er wieder da. Als Senior Advisor bei der Venture-Capital-Gesellschaft Lakestar (unter anderem Spotify) berät er junge Unternehmen. Daneben kritisiert er die Übermacht der angelsächsischen Tech-Riesen und sucht nach europäischen Lösungen. Und wenn die Zeit es zulässt, investiert er auch privat. AKTIONÄR-Chefredakteur Leon Müller sprach mit dem Ex-Burda-Manager über die Digitalisierung in Deutschland.

Herr Winners, Sie sind profunder Kenner der Szene, blicken auf Jahrzehnte der Erfahrung zurück. Ihre Einschätzung: Wo steht die europäische Digitalwirtschaft?

Stefan Winners: Am Scheideweg. Vor 15 Jahren dachte man, wir könnten bessere, stärker auf den hiesigen Kunden ausgerichtete Produkte bauen als die Amerikaner. Wir könnten die großen Plattformen schlagen. Heute müssen wir feststellen: Es ist fast unmöglich, im freien Wettbewerb gegen die Übermacht aus den USA, aber zukünftig auch aus China zu bestehen. Die Netzwerkeffekte der Großen sind zu dominant, generieren enorme finanzielle Cashflows, die sie nutzen, um noch schneller in neue Bereiche vorzudringen. Europa muss sich die Frage stellen: In welchen Bereichen wollen wir autonom und wettbewerbsfähig werden?

Ihre Antwort darauf lautet?

Wir müssen die Bereiche konkret definieren, in denen wir autonom werden wollen. Cyber Security ist elementar, das Thema Browser ist es ebenfalls, die Suche klar auch.

Sie sagen, der freie Markt könne es nicht richten, und schlagen Browser und Suche vor? Apple, Microsoft und Google sind hier dominierend. Wie bitte soll da europäische Innovation für Wettbewerb sorgen?

Wo der freie Markt es nicht mehr hergibt, müssen die Regierungen, muss Brüssel aktiv werden. Wenn wir so weitermachen, sind und bleiben wir eine digitale Kolonie, abhängig von Plattformen in Amerika und zukünftig auch China. Die Firmen machen hier ihr Geschäft und transportieren die Gewinne ins Mutterland. Autonomie ist wichtig. Es braucht ein ganzes Bündel an Maßnahmen.

Die da wären?

Die EU muss den Markt regulieren. Denkbar wäre etwa, das chinesische Modell zu etablieren. Also dass Firmen Lizenzen erwerben müssen, um in bestimmten Sektoren in Europa tätig werden zu können. Das könnte so weit gehen, dass US-Firmen ihr Europageschäft abspalten müssen, um hier ihren Sitz zu haben. Ohne Sitz keine Lizenz. Ohne Lizenz kein Geschäft. Zudem braucht es eine Liberalisierung: Google beispielsweise könnte man zwingen, seine Suchergebnisse mittels API (Anm. d. Red.: API steht für Programmierschnittstelle) auch anderen Anbietern zugänglich zu machen. Das würde Wettbewerb überhaupt erst wieder ermöglichen.

Wir haben viel über US-Firmen gesprochen, ein wenig über deutsche, den Markt im Allgemeinen. Wo investiert der Privatmensch Winners?

Amazon, Mercadolibre, Okta, Paypal, Tencent, auch Sartorius, SAP und Pacifico Renewables …

MERCADOLIBRE (WKN: A0MYNP)

Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, aber das geht ja querbeet. Lassen Sie uns das ein wenig sortieren. In welche deutschen Firmen investieren Sie?

New Work und Zooplus zum Beispiel ...

… beides Burda-Beteiligungen, für die Sie mal verantwortlich waren …

Ja, es sind einfach gute Firmen. New Work ist Platzhirsch in Deutschland, auch und vor allem, weil wir nie wirklich internationalisiert haben, sondern den Fokus klar auf den deutschsprachigen Markt gelegt haben. Zooplus ist da anders. E-Commerce-Firmen lassen sich einfacher in andere Märkte bringen. Der Shop bleibt, die Sprache ist eine andere. Das funktioniert bei Zooplus in Europa wunderbar.

New Work (WKN: NWRK01)

Welche Firmen überzeugen Sie noch?

Die CompuGroup Holding, auch Hypoport. Obwohl sie sehr hoch bewertet ist, fliegt sie beim Anlegen internationaler Maßstäbe noch unter dem Radar vieler Investoren und hat entsprechend Potenzial. Scout24 hat ordentlich finanzielle Firepower, SAP ist für mich ein starker Turnaround-Kandidat. Wissen Sie eigentlich, wie alt die jüngste Firma in Europa unter den 100 wertvollsten börsennotierten Unternehmen ist?

Hypoport (WKN: 549336)

Verraten Sie es uns.

40 Jahre. Deutschlands Vorzeige-Hightech-Unternehmen SAP ist inzwischen 48 Jahre alt. Das zeigt doch ganz klar, in welchem Dilemma Europa steckt.

Am Alter einer Firma machen Sie das beschriebene gesamteuropäische Problem fest?

Auch. Europa steckt voll im Innovator’s Dilemma: Wir haben unsere alten etablierten Technologien überschätzt und unterschätzen die neuen Technologien immer noch. Der Vergleich der langfristigen Börsenperformance zwischen DAX und S&P 500 zeigt das deutlich. Ich bleibe dabei: Europa und Deutschland brauchen eine neue Gründerzeit. Das ist meine tiefste Überzeugung.

DAX (WKN: 846900)

Stichwort Überzeugung: Welche Aktie – angenommen, Sie könnten nur in eine einzige Firma investieren – überzeugt Sie am meisten?

Amazon. Ganz klar. Aber auch leider. Aber das ist die Aktie, die meine Kinder schon lange im Depot haben.

Amazon.com (WKN: 906866)

Warum so klar und warum „leider“?

Amazon ist groß und stark – und das in vielen Bereichen. Die Kundenorientiertheit ist einmalig und setzt Maßstäbe. Das Unternehmen ist technologisch stark, hat ein starkes Management und ist sehr veränderungsbereit. Und: Amazon ist unheimlich schwierig zu regulieren, weil es erstens breit aufgestellt ist und zweitens – und das ist vielleicht noch wichtiger – unheimlich vielen Menschen Arbeit gibt und zugleich weniger aggressiv agiert als Google oder Facebook. Und leider, weil es mir lieber wäre, ich könnte hier eine deutsche oder europäische Firma nennen. Aber das kann ich nicht als Antwort auf diese Frage.

Sie hoffen aber darauf, es irgendwann tun zu können.

Ich bin Optimist. Ich bin überzeugt, dass wir eine neue Gründerzeit entfachen können. Hier in Deutschland und in Europa. Die EU wird hier in Kürze einen regulatorischen Vorstoß wagen, alle Zeichen deuten darauf hin. Die Nationalstaaten werden mitziehen. Über Innovation und Technologiecluster werden neue Unternehmen entstehen, die dann im veränderten Wettbewerb bestehen können. Es ist möglich, einen europäischen Tech-Sektor zu schaffen. Wir haben genügend starke junge Gründer. Wir müssen es nur wollen und die richtigen Schritte gehen.

Zur Person

Als Stefan Winners im Juni 2005 die Leitung bei der Tomorrow Focus AG übernahm, war die Firma defizitär. Er drehte den Laden auf links, digitalisierte und vervielfachte den Umsatz. Von Burda hat er sich inzwischen verabschiedet. Die Digitalwirtschaft hingegen bestimmt weiter sein Leben.

Dieses Interview ist in DER AKTIONÄR Jahrbuch 2021 erschienen, welches Sie hier als digitales E-Paper herunterladen können.

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