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07.05.2020 Leon Müller

EZB und Bundesverfassungsgericht: Jenseits der Gewalten

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe hat in dieser Woche zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Vorgehen eines EU-Organs als Kompetenzüberschreitung eingestuft. Juristen sprechen in einem solchen Fall von ultra vires, auf Deutsch: jenseits der Gewalten. Gemeint ist damit der Fall, dass ein europäisches Organ wie die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Kompetenzen überschreitet. Der Präzedenzfall schlägt nun hohe Wellen. 

Auffällig dabei: Die Unverfrorenheit einiger. Sie wird offenbar in der Forderung, das BVerfG hätte ökonomische Aspekte berücksichtigen sollen. Dies zeigt, wie sehr sich Realität und Wunsch in den vergangenen Jahren voneinander entfernt haben. Oder anders gesagt, wie sehr sich Ökonomen, aber auch Politiker und Kommentatoren an die schleichende Politisierung der EZB gewöhnt haben, deren Aufgabe es eben nicht ist, den Regierungen der Euroländer politische Entscheidungen abzunehmen und statt Geld- auch Wirtschaftspolitik zu betreiben. Die bequeme Haltung, äußerst unbequeme und komplexe Entscheidungen einfach ins Frankfurter Ostend auszulagern, muss die deutsche Regierung mit dem Urteil des Gerichts ablegen. Angela Merkel, die seit 2005 ohne Unterbrechung im Amt ist und nun nach Jean-Claude Trichet und Mario Draghi mit Christine Lagarde EZB-Präsident(in) Nummer 3 erlebt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie alles ihr Mögliche getan hat, um die Glaubwürdigkeit der EZB als unabhängige Institution zu wahren. Denn das Urteil, es richtet sich gegen den vom Europäischen Gerichtshof ausgestellten Persilschein, ist auch ein Urteil darüber, dass die EZB eben diese Unabhängigkeit aufgegeben hat.  

Jetzt ist die Zeit für Demut. Im Dezember des vergangenen Jahres sagte Otmar Issing, Ökonom und als „der Vater des Euro“ bekannt, im Gespräch mit uns: Der Kauf von Anleihen einzelner Länder sei eine „politisch motivierte Entscheidung gewesen. Und das ist nichts anderes als eine Verletzung des Prinzips, dass monetäre Staatsfinanzierung der EZB verboten ist.“ Dieser Ansicht schloss sich das Bundesverfassungsgericht nun an. Das ist gut so. Wo der EuGH versagt, muss das BVerfG standhaft bleiben, Kritik hin oder her. Ein endloses „Weiter so“ beschädigt nicht nur das Ansehen der EZB, sondern untergräbt auch die Verantwortung der Nationalstaaten. Dieser politischen Verantwortung muss sich nun die deutsche Regierung stellen.

Dieser Beitrag ist erschienen als Standpunkt in DER AKTIONÄR Ausgabe 20/2020, die Sie hier als E-Paper lesen können.

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