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06.02.2021 Leon Müller

Der No-Broker: Trade Republic und das GameStop-Desaster

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Ein bisher beispielloser Angriff auf die Freiheit der Anleger erschüttert das Vertrauen junger Börsianer: Der Berliner Neo-Broker Trade Republic hindert seine Kunden am Handel mit Wertpapieren von GameStop, BlackBerry, Nokia und anderen, schränkt den Handel ein, ist nicht erreichbar. Was steckt dahinter?

In den sozialen Netzwerken tobt ein Sturm. Es ist Donnerstag, der 28. Januar 2021. „Man ändert die Regeln nicht während des Spiels“, schreibt uns ein Kunde des Berliner Neo-Brokers Trade Republic. Er ist wie viele andere erbost, regelrecht sauer. Zuvor hatten die Hauptstädter, die sich auf die Fahnen geschrieben haben das Brokerage „mobiler, intuitiver, schneller“ zu machen, einen Kaufstopp für ausgewählte Aktien verhängt, darunter GameStop, BlackBerry und Nokia. Aktien, die gerade besonders gefragt sind. „Ich fühle mich verraten“, schreibt ein Kunde. Und „hätte nie gedacht, dass es so was mal geben wird“ ein weiterer. Den AKTIONÄR erreichen zahlreiche Zuschriften. Der Tenor ist immer der gleiche: Es ist ein Skandal, was hier passiert.

Man ändert die Regeln nicht während des Spiels.

Trade Republic-Kunde gegenüber dem AKTIONÄR

Schuld sind die anderen

Trade Republic äußert sich in gewohnt lockerem Marketing-Sprech, wie er in der Start-up-Szene üblich ist, gegenüber seinen Kunden, lässt klare Worte vermissen. Anfragen des AKTIONÄR bleiben zunächst unbeantwortet, werden erst auf wiederholte Ansprache und dann nur einsilbig beantwortet. Gegenüber seinen Kunden spricht sich Trade Republic von jeder Verantwortung frei. Man wälzt die Schuld an dem Desaster am Donnerstag auf den Handelsplatzpartner L&S Exchange ab. In einem Schreiben der Gründer, das dem AKTIONÄR vorliegt, winden sie sich, schreiben: „Falls Du vom Kauf-Stop dieser Aktien betroffen warst, wollen wir uns persönlich bei Dir entschuldigen. Hier haben wir keinen guten Job gemacht.“ Damit ist aber nicht etwa gemeint, dass man in der Sache selbst Fehler gemacht hat. Das Schuldeingeständnis bezieht sich lediglich auf die Art und Weise, wie Trade Republic kommuniziert hat. 

Lang & Schwarz (WKN: 645932)

In der Sache aber geht es darum, wie es zu den Ereignissen am 28. Januar kam, als Kunden stundenlang nicht handeln konnten. In dem Schreiben von Trade Republic heißt es hierzu, dass „kurz nach 7.30 Uhr der Handelsplatz Lang & Schwarz Exchange in wesentlichen Teilen ausgefallen“ sei. Der Handelsplatzbetreiber bestätigt gegenüber dem aktionär zwar, dass der Handel an der LS-Exchange „nur eingeschränkt möglich“ gewesen sei. Man sei allerdings „den Anforderungen als Market Maker vollumfänglich gerecht geworden“. Diesen Eindruck bestätigen auch Kunden, die sich an den AKTIONÄR gewandt haben. Auf ihre Anrufe bei dem Handelsplatz hin habe man ihnen versichert, das Problem bestünde bei Trade Republic. Andere Broker im Markt bestätigen auf Nachfrage ebenfalls: Der Handel über Lang & Schwarz verlief ohne größere Störungen. Dessen ungeachtet ist Trade Republic „auf den Ausweichhandelsplatz Tradegate Exchange gewechselt“. Problem gelöst, sollte man meinen. Tatsächlich aber war die Applikation, wie DER AKTIONÄR belegen kann, über weite Strecken des Tages nicht erreichbar. Hinzu kommt: Wenn Trade Republic bereits am Morgen ein Problem mit LS-Exchange festgestellt und sofort auf Tradegate umgeschwenkt hat – wie kann dann LS-Exchange für die weiteren Probleme verantwortlich gewesen sein, wo er doch vom Orderflow längst abgeklemmt gewesen ist? Das Fragezeichen bleibt.

Willkürliche Entscheidung

Zudem stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung für die einseitige Entscheidung, den Kunden den Kauf, nicht aber den Verkauf bestimmter, an diesem Tag stark gefragter Aktien zu untersagen. In der zeitlichen Abfolge fällt auf, dass Trade Republic diese Maßnahme erst ergriff, nachdem der US-Broker Robinhood einen Kaufstopp verhängt hat. Ist man hier dem großen US-Vorbild einfach spontan und blind gefolgt, ohne die Folgen der Entscheidung zu hinterfragen? Trade Republic erklärt hierzu, man habe die Kunden schützen wollen. Trade Republic hat das Clearing an einen externen Dienstleister, HSBC Transaction Services, ausgelagert. Damit gehen weitaus geringere Anforderungen an die Kapitalausstattung einer Bank einher, als dies der Fall bei Robinhood ist, das sich in einer Nacht- und Nebelaktion frisches Kapital in Milliardenhöhe besorgen musste, um den Kollaps abzuwenden. Dass HSBC mit Trade Republic Rücksprache zum Kaufstopp gehalten habe, verneint das Berliner Unternehmen. Dass es Einschränkungen beim Clearing und Settlement gegeben habe, ebenfalls. Was der tatsächliche Grund für diese waghalsige Entscheidung gewesen ist, bleibt damit im Unklaren.

BaFin auf den Plan gerufen

Für Klarheit sorgen könnte einzig die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – kurz BaFin. Dr. Florian Toncar, FDP-Bundestagsabgeordneter und Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Wirecard, erklärt gegenüber dem AKTIONÄR, er erwarte seitens der BaFin „schnellstens eine Stellungnahme zu den Vorfällen rund um GameStop“. Konkret auf den Kaufstopp bei Trade Republic angesprochen, entgegnet er: „Das ist eine ganz klare Einschränkung des freien Marktzugangs. Wenn Broker einzelne Aktien für Privatanleger sperren und die großen Hedgefonds können gleichzeitig weiter handeln, ist das eine Ungleichbehandlung, gegen die die Aufsicht einschreiten muss.“

Rufen die Vorgänge die BaFin auf den Plan? Man sollte es annehmen. Doch eine Sprecherin der BaFin erklärt gegenüber diesem Magazin: „Derzeit gibt es zu den Handelseinschränkungen bei Trade Republic bei uns keine Marktmissbrauchsuntersuchung.“ Man sehe hierfür zunächst „keine Anhaltspunkte“. Allerdings habe man „Trade Republic mit Nachdruck darauf hingewiesen, die aufsichtsrechtlichen Anforderungen einzuhalten und Kunden sämtliche Dienstleistungen störungsfrei zur Verfügung zu stellen“. Beim Broker selbst hört sich das ein wenig weniger dringlich an. Im Gründer-Brief steht geschrieben, „anders als von Medien behauptet“ sei man nicht „ermahnt“ worden. Am Ende bleibt das Wortklauberei.

Fabio De Masi, der neben Toncar als Obmann der Linken im Wirecard-Untersuchungsausschuss für die Aufklärung des größten Skandals in der deutschen Wirtschaftsgeschichte kämpft, sagt mit Blick auf den Kaufstopp, es rieche nach Einflussnahme. „Wenn sich herausstellen würde, dass es auf Wunsch eines Geschäftspartners um die gezielte Beeinflussung von Preisen – also den Kurs – ging, könnte dies als der Versuch einer handlungsgestützten Marktmanipulation und womöglich auch als Untreue zulasten der Kunden eingestuft werden. Ich sehe dafür gewichtige Anhaltspunkte.“ Die BaFin sollte seiner Meinung nach eine Untersuchung einleiten. Dass sie es noch nicht getan hat, heißt nicht, dass sie es nicht tun wird.

Wenn sich herausstellen würde, dass es auf Wunsch eines Geschäftspartners um die gezielte Beeinflussung von Preisen – also den Kurs – ging, könnte dies als der Versuch einer handlungsgestützten Marktmanipulation und womöglich auch als Untreue zulasten der Kunden eingestuft werden. Ich sehe dafür gewichtige Anhaltspunkte.

Fabio De Masi, MdB, Obmann der Partie Die Linke im Wirecard Untersuchungsausschuss

Verunsicherte, enttäuschte Kunden

Eine unabhängige Untersuchung durch die Finanzaufsicht fordern auch mehr und mehr Kunden. Auch, weil die Beziehung von Trade Republic mit dem Handelsplatzpartner Lang & Schwarz zu ihrem Nachteil gereichen könnte. „Negativ aufgefallen sind schon immer die teilweise nicht nachvollziehbaren Spreads, die vor allem, aber nicht nur bei Pennystocks teilweise unfassbar groß waren. Und das zu normalen Handelszeiten“, schreibt Jura-Student und Trade-­Republic-Kunde Maximilian Eiles. Frisst die schlechtere Kursstellung am Ende die Vorteile einer niedrigen Ordergebühr?

Wegen dieser Entscheidung wird es sehr, sehr schwer für sie sein, im Geschäft zu bleiben.

Jordan Belfort, "The Wolf of Wall Street"

Fragiles Geschäftsmodell

Der gesamte Vorgang legt Schwächen im Geschäftsmodell von Trade Republic offen – schonungslos. Der Neo-Broker, der mit provisionsfreiem Handel wirbt, hat sich an einem der umsatzstärksten Handelstage an der Börse als No-Broker erwiesen. Verantwortlich dafür dürfte am Ende eine unzureichende Infrastruktur sein, die Spitzenlasten nicht verarbeiten kann. Die Firma, die in bisherigen Finanzierungsrunden 78 Millionen Euro eingesammelt haben soll, hat ein fragiles Geschäftsmodell. Von den Kunden verlangt der Broker einen Euro pro Trade. Die als Fremdkostenpauschale bezeichnete Gebühr dürfte bei angenommenen acht Millionen Trades im Jahr entsprechend acht Millionen Euro in die Firmenkasse spülen. Davon lässt sich kein Bankbetrieb mit geschätzt 300.000 Kunden aufrechterhalten. Folglich langt Trade Republic an anderer Stelle zu: Man lässt sich jeden Trade, den man an den Handelsplatzpartner Lang & Schwarz weiterleitet mit geschätzt weiteren ein Euro vergüten. Aufgrund der Kundenstruktur ist anzunehmen, dass Trade Republic über vergleichsweise geringe Zinseinnahmen verfügt. Auf dieser Grundlage dürfte der Berliner Neo-Broker im Jahr etwa 16 bis 20 Millionen Euro einnehmen – und hochdefizitär sein. Zum Vergleich: ein anderer Challenger aus Deutschland peilt bei einer Viertelmillion Kunden das Erreichen der Gewinnschwelle an. Allerdings unter der Annahme höherer, nach aktuellen Schätzungen unrealistischer Trade-­Zahlen und größerer Depotvolumen als bei Trade Republic.

Ungewisse Zukunft

Fragiles Geschäftsmodell, unzuverlässige IT-Infrastruktur, einseitige Handlungseinschränkungen, Schuldzuweisungen, unzufriedene Kunden, erhebliche Rechtsrisiken in Zusammenhang mit möglichen Schadenersatzforderungen geschädigter Kunden – Trade Republic hat eine höchst ungewisse Zukunft. Politisch hat sich der Berliner Neo-Broker in eine schwierige Lage manövriert. Es ist nicht auszuschließen, dass der Handelsplatzpartner Lang & Schwarz nach den heftigen Anschuldigungen seitens der Gründer die Zusammenarbeit kündigt. Das Geschäft läuft auch so recht solide – im Januar hat man das Ergebnis aus der Handels­tätigkeit des gesamten ersten Quartals 2020 um 40 Prozent übertroffen. Für Trade Republic würde das einen erheblichen Einbruch der Einnahmen bedeuten, da nicht zu erwarten ist, dass ein Dritter bereit sein wird, ähnlich hohe Rückvergütungen für den Orderflow zu zahlen. Käme es dazu, würde das den Spielraum für Verbesserungen der Infrastruktur und der Applikation einengen. Erhebliche Risiken resultieren auch aus möglichen Schadenersatzforderungen der Kunden. Ihre am Ausfalltag empfundene Hilflosigkeit und Ohnmacht könnte sie dazu motivieren, entsprechende Ansprüche gegenüber Trade Republic geltend zu machen. Allein der Versuch würde erhebliche Kapazitäten bei den Berlinern binden.


So gilt am Ende das, was der als „Wolf of Wall Street“ bekannt gewordene Jordan Belfort mit Blick auf Robinhood gesagt hat, auch für Trade Republic: „Wegen dieser Entscheidung wird es sehr, sehr schwer für sie sein, im Geschäft zu bleiben.“

Wer möglichen Unwegbarkeiten bei Trade Republic aus dem Weg gehen möchte, hat Alternativen. Unter anderem bieten flatex, DEGIRO, comdirect und Consors bank Zuverlässigkeit bei vergleichsweise moderaten Kosten. (Zum Vergrößern der Tabelle klicken Sie bitte ins Bild)

Dieser Artikel ist in DER AKTIONÄR Nr. 06/2021 erschienen, welches Sie hier als E-Paper lesen können.

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