Mit seinen Worten über die Mehrarbeit aller Deutschen hat Friedrich Merz eine Debatte angestoßen. In der Tat muss sie dringend geführt werden. Allerdings vielleicht mit einem deutlich anderen Fokus. Meine Gedanken.
Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten. Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.“ So die Worte unseres frischgebackenen Kanzlers Friedrich Merz am 13. Mai anlässlich des CDU-Wirtschaftstags.
Ich stimme zu. Aber ich habe Fragen. Aktuell leben in Deutschland rund 84 Millionen Menschen. Knapp 63 Millionen davon zählt man zur „erwerbsfähigen Bevölkerung“. Das sind Menschen, die grob zwischen 15 und 64 Jahre alt sind. Darunter fallen aber auch all jene, die aus verschiedensten Gründen – von Krankheit bis Studium – eben keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen. Die Zahl derjenigen, die tatsächlich erwerbstätig sind, liegt bei rund 45 Millionen. Darunter fallen Beschäftigte in Vollzeit, in Teilzeit und auch geringfügig Beschäftigte.
Diese 45 Millionen sind die Menschen, die den sprichwörtlichen Karren in diesem Land ziehen. Die morgens aufstehen, vielleicht noch Kinder versorgen und in Kindergarten und Schule schicken oder bringen. Die dann ihren Arbeitsplatz aufsuchen und täglich Leistung bringen. Die Steuern zahlen. Die schaffen und planen. Die am Ende des Tages alle die gleichen Ängste, Wünsche und Träume haben: Gesundheit. Glück. Partnerschaft. Freundschaft. Gute Ausbildung für die Kinder. Sicherheit. Frieden. Vielleicht das eigene Haus. Oder der nächste Urlaub.
Ich wünsche mir, dass Friedrich Merz klar sagt, wer genau in diesem Land wieder mehr und effizienter arbeiten soll. Ist es der Maurer, der mit 60 Jahren oft schon langsam an seine körperlichen Grenzen kommt? Oder der Parteifunktionär, der auch mit 70 noch topfit sein kann? Ist es die Krankenschwester, die auf chronisch unterbesetzten Stationen allein kranke Menschen umlagern muss, die zweimal so schwer sind wie sie? Oder ist es der Beamte, der dank Beihilfe und Pensionsansprüchen (2,5-fache Rente) im Hinblick auf Krankheit und Alter so viel bessergestellt ist? Welche dieser Berufsgruppen gehört zu den Rentnern, die nach Meinung von CDU-General Carsten Linnemann zu wenig arbeiten und über Geld motivierbar sind?
Was ist mit Arbeitslosen – und zwar sowohl denen, die wollen, als auch denen, die nur könnten? Wie bekommt man sie wieder ins System, wie qualifiziert man sie, wie motiviert man sie und wie integriert man sie? Was ist mit Menschen aus anderen Ländern? Laut Bundesagentur für Arbeit leben derzeit rund 2,5 Millionen erwerbsfähige Menschen aus den wichtigsten Asylherkunftsländern in Deutschland – darunter die Ukraine, Syrien und Afghanistan. Wie lautet hier das Rezept, diese sinnvoll zu integrieren, sie produktiv tätig werden zu lassen? Vielleicht den Maurer und die Krankenschwester zu entlasten? Die Liste ließe sich fortsetzen.
Sollte es sinnvolle und angemessene Antworten auf diese Fragen geben, dann wäre ich begeistert und optimistisch. Leider bin ich aber besorgt. Ich habe Sorge, dass die Antwort der Politik auf meine Fragen ein „Weiter so!“ sein könnte. Die Idee, dass all jene, die sich jetzt schon als leistungsbereit (und leidensfähig) erweisen, dass einmal mehr genau diese Menschen Gegenstand der Debatte werden. Hier noch ein wenig mehr arbeiten, da noch ein wenig mehr Steuern zahlen. Es hat sich schließlich bewährt.
Ob das auf Dauer gut gehen kann – ich bezweifle es stark. Deswegen wünsche ich Herrn Merz und seinem Team viel Glück und Erfolg bei der Suche nach den richtigen Antworten. Ganz im Sinne seiner ersten Regierungserklärung: „Unser großartiges Land kann die Herausforderungen unserer Zeit aus eigener Kraft heraus bestehen und daraus etwas Gutes machen – wenn wir gemeinsam daran arbeiten.“ Gemeinsam. Alle. Aber wirklich alle!
28.05.2025, 08:25