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29.09.2020 Lars Friedrich

Lars Thomsen: „Ein zweiter Amazon-Erfolg“

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DAX

Zukunftsforscher Lars Thomsen verrät, wo sich für Anleger gewaltige Chancen auftun, wie er zu Wasserstoff steht und warum die größte Konkurrenz für Tesla nicht aus Deutschland kommt.

DER AKTIONÄR: Herr Thomsen, gibt es längerfristige Trends, die sich immer noch mehr oder weniger unabhängig von Corona entwickeln?

Lars Thomsen: Eine gute Frage, denn Corona hat natürlich kurz- bis mittelfristige Auswirkungen auf verschiedene Industrien. Es gibt aber auch große, indus­trieübergreifende Veränderungen, die die 2020er-Jahre bringen werden. Diese jetzt aus dem Blick zu verlieren, wäre die größte Gefahr – auch für Aktionärinnen und Aktionäre. Das Jahr 2030 ist ungefähr 480 Wochen entfernt. Bei Future Matters erwarten wir bis dahin einige Umbrüche. 

Zum Beispiel? 

Es ist nicht zu überschätzen, wie stark künstliche Intelligenz ganz viele Bereiche unseres Lebens verändert. Das beginnt bei der autonomen Fortbewegung eines Autos, einer Drohne oder eines Lieferroboters über große Fortschritte bei der Produktion oder in der Medizin. Darüber hinaus wird sich auch sehr stark verändern, wie wir künftig mit unseren Computern im Alltag interagieren werden. 

Inwiefern? 

Wir sind der Meinung, dass wir in weniger als 400 Wochen nicht mehr auf Computern tippen werden. Es wird viel stärker in Richtung eines Dialogs mit der Maschine gehen und sehr stark dem Gespräch mit einem persönlichen Assistenten ähneln. Das wird einen enormen Umbruch bei der Produktivität geben – egal in welcher Branche. 

In China werden Versicherungsfälle schon jetzt teils komplett von Computern abgewickelt. Konzerne wie Alibaba und Tencent digitalisieren und automatisieren gefühlt jeden Lebensbereich … 

Das ist ein wunderbares Beispiel, weil es nicht nur um die Versicherung geht. Künftig wird das Auto, das den Unfall hatte, diesen mit Kameras aufgezeichnet haben. So kann analysiert werden, wer der Unfallverursacher war. Währenddessen bemerkt das Auto durch Mustererkennung eine Unwucht am linken Vorderrad. Das Auto erkennt außerdem durch Sensoren: Die Stoßstange muss getauscht werden. Dann kann direkt der Reparaturauftrag an die passende Werkstatt gehen. Diese hält – wie bei einem Formel-1-Boxenstopp – die neue Nase und ein neues Rad schon bereit. Die Reparatur dauert nur noch wenige Minuten. Bezahlt wird automatisch. Abgewickelt werden diese Vorgänge durch digitale Assistenten. Wir nennen das Smart Worlds, die miteinander kommunizieren. Da werden ganz neue Player entstehen. 

„Die Bewertung von Nikola entbehrt jeder Logik. Das ist reiner Hype.“

Mit seinem Thinktank Future Matters berät Lars Thomsen unter anderem DAX-Konzerne. Er ist spezialisiert auf Tipping Points – Momente, in denen plötzlich etwas Neues bestehende Dinge überflüssig macht.

Wird der Bereich letztendlich nicht trotzdem von Big-Tech-Konzernen dominiert werden? Google, Apple und Co übernehmen schon jetzt fast jede aussichtsreiche Firma …

Ja, aber es entstehen auch einige neue Player – Sie haben schon Alibaba und Tencent genannt. China ist superspannend, denn die Geschwindigkeit, mit der im Moment dort Innovation abgeht, ist einfach unglaublich. Das ist fast schon bedrohlich, wenn man das aus deutscher Perspektive sieht. 

Wir hinken hinterher … 

Das ist so, und das dürfen wir nicht unter den Tisch kehren. Schauen Sie sich die neuen Autos an, die aus China nach Europa kommen, also Elektrofahrzeuge von Aiways oder Nio. Die Autos sind mittlerweile von der reinen Fahrzeugqualität, der Software und dem Preis her so, dass daneben einige deutsche Konkurrenzprodukte einfach in keiner Kategorie mithalten können. In den 2020er-Jahren ist China der Innovationstreiber neben den üblichen internationalen Größen wie Google. 

Die größte Konkurrenz für Tesla wird also nicht aus Deutschland kommen? 

Die Chinesen haben sich vorgenommen, bis 2025 der größte Automobilproduzent der Welt zu werden. Die Produkte kommen über die neue Seidenstraße inzwischen sogar mit der Eisenbahn. Ich bin fast alle Vorserienmodelle gefahren. Die ersten westlichen Elektroautos waren wesentlich schlechter. Die chinesische Bedrohung für den deutschen Automarkt kommt gerade in Bereichen, in denen die Deutschen noch gar keine Antwort haben. Einen geräumigen Familien-Van mit fünf bis sieben Sitzen, elek­trisch, mit 400 Kilometer Reichweite für deutlich unter 40.000 Euro bekommt man momentan praktisch nur in China. Das ist leider so. Als deutscher Hersteller muss man sich schon mit dem ersten Produkt verteidigen – gegen Konkurrenten, deren Namen hier fast noch niemand kennt. 

Mehr als eine Momentaufnahme? 

Die Reife dieser Newcomer ist wirklich erstaunlich. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das nur ein Zufall war und die neuen Hersteller demnächst wieder schlechter sind. Ich glaube, das ist tatsächlich ein Tipping Point, der vermutlich vielen noch gar nicht bewusst ist. 

Ein Trendthema ist neben Elektroantrieben auch Wasserstoff. Was wird sich durchsetzen? 

Mittelfristig ist es die Batterie. Ich habe bis vor einigen Jahren tatsächlich auch gedacht, dass Wasserstoff langfristig der ökonomischste und ökologischste Weg sei, die Energiesysteme umzubauen. Bis ich sah, wie schnell sich die Batterietechnologie ungefähr ab 2012 im Bereich Lithium-Ionen verändert hat. Beim Wasserstoff ist neben der recht teuren Tank-Infrastruktur auch die Effizienz der gesamten Energiekette ein Problem: Aus Strom wird zunächst mittels Elektrolyse Wasserstoff erzeugt, dann komprimiert und schließlich in der Brennstoffzelle wieder in Strom umgewandelt. Bei jedem Umwandlungsschritt entstehen Verluste. Solange die erneuerbaren Energien nicht extrem billig werden in der Produktion, wird Wasserstoff immer dreimal so teuer sein wie eine Batterieladung. Batterien werden dagegen immer langlebiger und günstiger. Derjenige, der sagt, wir werden Wasserstoff-Trucks bauen, die auf Langstrecke fahren, muss erst mal einen Spediteur finden, der bereit ist, diese Mehrausgaben zu tragen.  

Das heißt, Sie sehen ein Unternehmen wie Nikola eher skeptisch? 

Die Bewertung entbehrt jeder Logik. Das ist reiner Hype. Vieles, was jetzt auf Nikola projiziert wird, hat damit zu tun, dass sich viele super ärgern, dass sie damals nicht Tesla für 50 oder 200 Dollar gekauft haben.

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Also gar keine Chance für Wasserstoff?

Es wird Firmen geben, die sich zum Beispiel mit Wasserstoff als Kerosinersatz im Flugverkehr beschäftigen, weil die Energiedichte sehr hoch ist. Das macht schon Sinn. Es wird auch Wasserstoffanwendungen zur saisonalen Speicherung von überschüssigen Windenergien in den Gasnetzen geben. Ich würde aber denjenigen, die glauben, dass der Wasserstoff in den 2020ern einen großen Durchbruch in der Breite erlebt, wenig Hoffnung machen. 

Sie haben schon vor Jahren korrekt prognostiziert, dass wir Batterieunternehmen mit gigantischen Bewertungen sehen werden … 

Um da noch einen draufzusetzen: Angenommen, jemand fährt bislang ein Benzinauto und kauft sich einen VW ID.3, dann vertausendfacht derjenige seinen Batteriebedarf an einem Tag. Bislang haben wir nur ein paar Gramm Batterien in unseren Smartphones und Tablets. Wir reden also nicht von einer Branche, die vielleicht um hundert oder zweihundert Prozent steigt, sondern über eine potenzielle Vertausendfachung. Schon Ende 2020 werden selbst in Deutschland ungefähr zehn Prozent aller Neuwagen elektrisch fahren. Darum ist es noch längst nicht zu Ende mit Unternehmen, die Batteriefabriken bauen. 

Einige Entwicklungen brauchen unerwartet lange. Vor 20 Jahren hat Honda den Roboter ASIMO präsentiert. Wa­rum haben wir immer noch keine Roboter im Alltag? 

Ich gehe noch mal zur Elektromobilität zurück: Seit 2014 haben wir jährlich eine Verdopplung auf den Weltmärkten – also eine Exponentialkurve. Aber wenn man mit kleinen Zahlen anfängt, sind die Leute sehr schnell enttäuscht, weil es gefühlt nicht schnell genug geht.

„Das kann eine größere Industrie als die Autoindustrie werden.“

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Was heißt das für die Entwicklung von Robotern?

Auch dort kommt der Tipping Point, an dem auf einmal sowohl die Software als auch die Hardware bereit sind, um ein Massenprodukt daraus zu machen. Sobald ein Roboter rund 80 Prozent der Routinetätigkeiten im Haushalt – Staubsaugen, Spülmaschine ausräumen, Toiletten wischen, Hund ausführen – übernehmen kann und 20.000 Euro kostet, also geleast ungefähr 200 Euro im Monat, kann das eine größere Industrie als die Autoindustrie werden. Viele Leute, die in Megacitys leben, brauchen kein Auto. Dagegen spart so ein Roboter in der Woche zehn Stunden Arbeit, die sie sowieso hassen. 

Wann wird es so weit sein? 

Noch in diesem Jahrzehnt. 

Es gibt Unternehmen, die eine Branche aufmischen und traditionelle Unternehmen wie IBM, die zwar bei Megatrends dabei sind, aber trotzdem kein nennenswertes Wachstum mehr generieren können. Woran liegt das? 

Um heutzutage ein wirklicher Innovator zu sein, der mit einer neuen Idee die Welt begeistert, braucht es tatsächlich ein Mindset, das es ermöglicht, in größeren Zusammenhängen zu denken. Es geht nicht mehr um Autos, sondern um Mobilität, Energie und den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Diese Genies, die in der Lage sind, weit über ein einziges Fachgebiet hinaus zu denken und die Verbindungen herzustellen, sind ein wichtiger Erfolgsfaktor. Bei großen, etablierten Playern hat man dagegen eine Tendenz dazu, die Geschäftsbereiche in Silos zu packen. Zudem haben die meisten angestellten Manager keine Anreize, tatsächlich große, weltverändernde Ideen nach vorn zu bringen. Im Gegenteil: Ein Manager, der ein gutes Gehalt bekommt und einen einigermaßen sicheren 3-Jahres-Vertrag hat, hat keinen Antrieb, ein Projekt zu starten, das in fünf Jahren vielleicht mit einer Chance von zehn Prozent funktioniert. Daher kommen in den seltensten Fällen diese großen, disruptiven Innovationen aus einer normalen Organisation heraus. 

Mit diesem Wissen: Wie investieren Sie persönlich?  

Ich investiere in Aktien und zunehmend auch direkt in Start-ups. Ich bin ein Fan davon, eher langfristig in die großen Themen zu investieren und nicht jeden Tag darauf zu schauen, wo die nächste Reisebeschränkung kommt. Man muss nicht jedem Trend hinterherrennen. 

Das klingt sehr entspannt … 

Ab und zu muss man schon mal checken, was die Firma macht, an der man beteiligt ist. Außerdem ist man als Zukunftsforscher immer sehr, sehr früh dran. Man muss sich zurückhalten, dass man nicht immer mit der ersten Euphoriewelle investiert, sondern mit – oder am besten kurz vor – der Wachstumswelle. Bei Tesla war mir zum Beispiel relativ früh klar, dass die Firma ein ganz großer Player werden würde, wenn sie es schafft, ihren Masterplan auszuführen. Aber die Zeit zwischen dem Börsengang 2010, während der man die Aktie noch für 15 Dollar bekommen hat, und dem Punkt, an dem die Welt tatsächlich merkt, was da passiert, kann schon sehr stressig sein. Es gibt natürlich auch Shortseller und jede Menge Störfeuer. Da kann man leicht mal verzweifeln. 

Welche Trends sind momentan noch nicht an der Börse angekommen? 

Ich bin der Meinung, das ganze Thema Ernährung und Vertical Farming, also die Massenproduktion von Nahrungsmitteln in Städten, ist unterrepräsentiert. Ich warte da auf IPOs. Ich finde auch die ganzen Fleischersatzprodukte spannend, die jetzt an einen Punkt kommen, an dem im Blindtest auch Leute ins Schwärmen kommen, die sonst nie einen vegetarischen Burger essen würden. Da ist ein Tipping Point erreicht, an dem das Beste aus verschiedenen Fleischsorten vereint werden kann – ein designtes Lebensmittel, für das es gar kein Tier gibt. Für Investoren wird im Ernährungsmarkt ein zweiter Amazon-Erfolg möglich sein. 

Also viele neue Chancen für Anleger? 

Die 2020er-Jahre werden nach unserer Ansicht noch mehr Disruptionen bringen als das vergangene Jahrzehnt. Wir gehen davon aus, dass sechs bis sieben Indus­trien aufgrund des technologischen Wandels ihr Geschäftsmodell komplett umstellen müssen. Als progressiver Investor würde ich sagen, ich halte es fast für sicherer im Moment, in neue Firmen zu investieren, als darauf zu hoffen, dass diejenigen, die heute groß sind, in zehn Jahren auch noch diese Stellung haben.

Dieser Artikel ist in DER AKTIONÄR Nr. 40/2020 erschienen, welches Sie hier als PDF gesamt herunterladen können.

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