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04.02.2021 Leon Müller

Leon Müller: Auf der Rasierklinge

Die vergangenen Tage gleichen einem Tanz auf der Rasierklinge. Welche Information ist zutreffend? Wer ist der Absender, was treibt ihn und warum? Informationen sind seit jeher die Grundlage jeder Kauf- und Verkaufsentscheidung. Ihre Zuverlässigkeit ebenso wie die Glaubwürdigkeit des Absenders sind entscheidend. Nicht von ungefähr zahlen professionelle Marktteilnehmer Zigtausende Euro für Informationssysteme wie Bloomberg oder Reuters, einige Hundert Euro für Magazinabonnements und einige Euro für die sichere Ausführung ihrer Handelsaufträge.

Das Reddit-Forum WallStreetBets hat innerhalb kürzester Zeit die Karten neu gemischt. Was mit Game- Stop vor Monaten begann und jetzt in einem Kurs-Exzess bei der Aktie des Videospielehändlers mündete, schreibt sich fort in teils wilden Spekulationen. Trittbrettfahrer versuchen die Macht der Bewegung umzulenken und für eigene Interessen zu nutzen. Ehrliche Absichten der Initiatoren könnten so Fehlentwicklungen bis hin zum Pump and Dump provozieren, die am Ende strafrechtliche Relevanz erlangen. Bis hier vollkommen freie Sicht herrscht, muss sich noch viel Nebel verziehen.

Einige Dinge sind indes jetzt schon klar. Erstens: Es lohnt sich, sich ernsthaft mit den Motiven von WallStreetBets und insbesondere den Menschen dahinter auseinanderzusetzen. Medien sind heute sehr schnell darin, zu urteilen. Wer die Mitglieder als „Internet-Kids“ und „Zocker“ bezeichnet, verunglimpft eine ganze Anlegergeneration, die Spielregeln womöglich neu definieren möchte, allerdings auch ganz profane Wünsche hat. All das vermutlich nicht zum Nachteil privater Anleger. Mir ist jedenfalls nicht eine Leserzuschrift bekannt, aus der hervorgeht, die armen Hedgefonds müssten beschützt werden. 

Zweitens: Der Handel sollte maximale Freiheit bedeuten. Anleger müssen frei darüber entscheiden können, welche Wertpapiere sie zu welchem Kurs kaufen oder verkaufen. Trade Republic in Deutschland sowie Robinhood in den USA haben mit diesem Grundsatz gebrochen. Dieser Angriff auf die Freiheit der Privatanleger ist unverzeihlich. Der Markt braucht Regeln – keine Frage. Diese Regeln aber bestimmen die Börsen und die Aufseher. Gewiss nicht die Broker.  

Drittens: Hinsehen und hinterfragen lohnt sich mehr als jemals zuvor. Nur weil im WallStreetBets-Forum irgendeine Aktie gerade besonders viel Aufmerksamkeit bekommt, trägt sie nicht gleich den Geist der WallStreetBets-Bewegung in sich.  

Die Folgen des Hypes, der nun allmählich abzuebben beginnt, werden nicht mit ihm verschwinden. Der Angriff auf die Hedgefonds könnte zumindest in den USA zur Schließung regulatorischer Lücken führen. Eine Short-Quote von über 100 Prozent ist schließlich nur eines: Irrsinn. Und womöglich illegal. 

Als Kollateralschaden könnten auch sogenannte Neo-Broker wie Robinhood und Trade Republic leiden. Zumindest dann, wenn Kunden erkennen: Was nichts kostet, ist nichts wert. Oder um es mit den Worten eines Lesers zu sagen: „Was hilft einem eine Ordergebühr von einem Euro, wenn ich nicht in einen steigenden Markt investieren kann, weil der Broker mir dies verwehrt?“ 

Dieses Editorial ist in DER AKTIONÄR Nr. 06/2021 erschienen, welches Sie hier als PDF gesamt herunterladen können.

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