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03.04.2016 Andreas Deutsch

"Die tollen Börsenjahre sind vorbei"

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Bruno Jahn ist Superforecaster. Er kann viele Dinge richtig voraussagen. Anleger können nur hoffen, dass seine Prognose für die Aktienmärkte nicht aufgeht.


DER AKTIONÄR: Herr Jahn, wie wird man Superforecaster?

Bruno Jahn: Man muss über einen längeren Zeitraum mehrere zutreffende Prognosen abgeben. Das ist die Voraussetzung. Einen Glückstreffer hat jeder mal, vielleicht auch mehrere. Aber kons­tant richtig zu liegen, darauf kommt es an.

Ihr Talent bewiesen Sie beim Good Judgment Project. Erklären Sie uns doch bitte, was es damit auf sich hat.

Erfinder des Good Judgment Projects – kurz: GJP – ist Philip Tetlock, ein amerikanischer Psychologieprofessor und einer der renommiertesten Prognoseforscher der Welt. Tetlock entwickelte das Projekt für den US-Geheimdienst, und zwar nach den Anschlägen vom 11. September. Die Attentate hatte nämlich niemand für möglich gehalten. Danach stand fest: Niemals wieder durfte Amerika so unvorbereitet mit etwas dieser Art konfrontiert werden.

Also suchte man nach Superforecastern, die das Unmögliche vorhersehen können.

Es sind keine Wahrsager. Es sind Menschen, die analysieren, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich Ereignisse sind – und die daraus eine Prozentzahl ableiten. An dieser Prozentzahl müssen sich Superforecaster messen lassen.

Wie kamen Sie zu dem Projekt?

Beim Good Judgment Project kann man sich im Internet anmelden: unter www.gjopen.com. Das können Sie oder die Leser auch gerne machen. Meine Trefferquote war so hoch, dass ich vor drei Jahren in die Gruppe der Superforecaster befördert wurde. Ich bin Mitglied eines von acht Superteams, die aus Superforecastern aus der ganzen Welt bestehen. Wir erhalten Schulungen und diskutieren über die Wahrscheinlichkeit von Dingen. Zu 90 Prozent liegen wir mit unseren Vorhersagen richtig.

In welchem Bereich sind Superforecaster hervorragend?

Bei der Wettervorhersage, allerdings nur vier Tage im Voraus. Das stimmt fast immer.

Wo klappt es gar nicht?

Erdbeben sind immer noch ganz schwer vorauszusagen. Hier machen wir nach wie vor keine nennenswerten Fortschritte.

Wie muss man es sich genau vorstellen, wenn Sie eine Sache analysieren? Wie kommen Sie am Ende zu einem Superforecast?

Nehmen wir als Beispiel die Raketentests in Nordkorea. Zunächst schaut man sich die Zahl der Raketentests in den vergangenen 20 Jahren an und wie lange die Pausen dazwischen waren. Dann guckt man weiter: Wie verhielt sich Kim-Jong Un in der letzten Zeit? Muss er sich profilieren? Wartet er, bis er genug Aufmerksamkeit bekommt? Wenn wir Fragen wie diese beantwortet haben, geben wir einen Tipp ab: In den nächsten sechs Monaten wird es keinen Raketentest geben.

Was haben wir Börsianer in den kommenden Monaten zu erwarten?


Sehr wahrscheinlich werden die Zinsen auf Sicht von bestimmt zehn Jahren extrem niedrig bleiben. Auch die Rohstoffpreise werden nicht besonders steigen. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Konjunktur in Europa schwach entwickeln wird. Von nennenswertem Wachstum kann absolut keine Rede sein – und das auf Sicht von einigen Jahren.

Bleibt uns denn der Euro erhalten?

So wie es im Moment aussieht, ja.

Wie geht es an der Börse weiter?

Eines vorweg: Börsenkurse vorherzusagen ist nahezu unmöglich, weil da so viele Unwägbarkeiten mit reinspielen. Ich erwarte aber keinen Absturz der Aktienkurse. Dafür sind die Zinsen einfach viel zu niedrig. Allerdings kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die Aktienkurse noch sehr viel Luft nach oben haben. Dafür ist das wirtschaftliche Umfeld einfach nicht gut genug.

Von Ihrem Kollegen Nassim Taleb kennen wir alle den schwarzen Schwan. Mit welchem schwarzen Schwan rechnen Sie?

Seien Sie vorsichtig mit dem Begriff. Wenn nämlich auch nur ein einziger mit einem schwarzen Schwan rechnet, ist es kein schwarzer Schwan mehr, sondern nur noch ein grauer Schwan. Ein grauer Schwan wäre meiner Meinung nach ein Zusammenbruch Saudi-Arabiens. Das Land leidet viel mehr unter dem fallenden Ölpreis, als die meisten denken. Wenn es zu Unruhen kommt, weil die Bevölkerung ihren Lebensstandard nicht mehr halten kann, dann würde die ganze Region viel instabiler werden. Zum Beispiel würde Ägypten stark belastet.

Ist ein grauer Schwan auch in Europa wahrscheinlich?

Im kommenden Jahr wird in Frankreich gewählt. Ich rechne zwar damit, dass – wie 2002 – eine Machtübernahme der Rechten durch eine Koalition der Vernunft verhindert werden kann. Aber es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass Marine Le Pen an die Regierung kommt. Und dann müssten die kompletten Szenarien für Europa überdacht werden. In diesem Fall wäre der Zusammenhalt der Eurozone nicht mehr wahrscheinlich.

Vielen Dank für das Interview.

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