Nach der Explosion der Energiepreise und einem Produktionseinbruch im vergangenen Jahr hofft die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie, bald das Schlimmste überstanden zu haben. Mit den zuletzt wieder deutlich gesunkenen Gaspreisen habe sich die Lage aufgehellt, sagte Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), in Frankfurt.
Doch Industriekunden hielten sich zurück. "In der Chemieindustrie fehlen die Aufträge." Eine kraftvolle Erholung sei anders als in der Corona-Pandemie oder nach der globalen Finanzkrise unwahrscheinlich.
Für dieses Jahr erwartet die Chemie- und Pharmabranche, dass die Produktion um fünf Prozent sinkt gemessen am Vorjahr, das vor dem Ukraine-Krieg ordentlich begonnen hatte. Der Branchenumsatz dürfte bei fallenden Preisen um sieben Prozent schrumpfen, teilte der VCI am Donnerstag mit. Die konjunktursensible Chemie alleine dürfte es härter treffen: Hier rechne man mit einem Produktionsrückgang von acht Prozent und einem Umsatzminus von zehn Prozent.
Trotz des Rückgangs der vergangenen Monate seien die Energiepreise im internationalen Vergleich noch "astronomisch", betonte Große Entrup. Mancher Mittelständler müsse mit chinesischen Strompreisen von 1,5 bis 2 Cent je Kilowattstunde konkurrieren, während der Strompreis für die Industrie hierzulande bei 13 Cent gedeckelt sei. Große Entrup forderte weniger Vorschriften und einen Industriestrompreis zwischen 5 und 10 Cent. Deutschland sei im harten Standortwettbewerb mit den USA, die mit Milliarden-Subventionen locken.
Für die Beschäftigung hierzulande hat die Krise Folgen. Der Branchenriese BASF legt wegen der teuren Energie mehrere Anlagen im Stammwerk Ludwigshafen still, darunter eine der beiden Ammoniak-Anlagen. Rund 700 Stellen in der Produktion sind von den Einschnitten betroffen. Zudem will BASF unterm Strich 2.600 Jobs etwa in Service- und Forschungsbereichen sowie der Zentrale streichen.
Allerdings haben sich die schlimmsten Prognosen der Branche nicht bewahrheitet. So hatte etwa BASF-Chef Brudermüller wiederholt vor verheerenden Folgen eines Gas-Boykotts gegen Russland nicht nur für den Konzern, sondern für die gesamte deutsche Wirtschaft gewarnt. Auch der VCI hatte mehrfach Alarm geschlagen, bei einem Gasmangel würden die Prozesse in der Chemieindustrie zusammenbrechen und eine Kettenreaktion bei den vielen Industriekunden auslösen. "Wir sind im Winter mit einem blauen Auge davongekommen", sagte nun Große Entrup.
Zum befürchteten Horrorszenario eines Gasmangels kam es nie, am Mittwoch waren die deutschen Gasspeicher zu rund zwei Dritteln gefüllt, auch wegen des milden Winters. BASF-Chef Brudermüller sagte jüngst, er habe nicht erwartet, dass die Terminals für Flüssigerdgas an den deutschen Küsten so schnell fertig würden.
Auch das Ifo-Institut sieht die Chemie im Aufwind. Die Branche blicke wieder etwas zuversichtlicher in die Zukunft, und die Versorgung mit Vorprodukten habe sich spürbar verbessert, erklärte Branchenexpertin Anna Wolf am Donnerstag. Jedoch bleibe die Nachfrage schwach, der Auftragsbestand sinke, und aus dem Export würden keine Impulse erwartet. "Über den Berg ist die chemische Industrie noch nicht."
Die sich aufhellenden Aussichten dürften den Chemietiteln allmählich wieder Rückenwind verleihen. DER AKTIONÄR bleibt für die günstig bewertete Dividendenperle (Dividendenrendite 7,1 Prozent, KGV 2023e: 11) zuversichtlich gestimmt. Der Stoppkurs kann bei 42,00 Euro belassen werden. Aus charttechnischer Sicht bildet die 200-Tage-Linie einie wichtige Unterstützung.
10.03.2023, 12:17