Der Jahresauftakt verläuft holprig. Der DAX hat mittlerweile rund 14 Prozent nachgegeben und in den USA wurden in den letzten Tagen Wachstumswerte wie Amazon oder Netflix abverkauft. Ist der Markt reif für eine Bodenbildung oder wird es noch weiter nach unten gehen? DER AKTIONÄR sprach mit Dirk Gojny von der National-Bank.
DER AKTIONÄR: Herr Gojny, wie schätzen Sie den Aktienmarkt derzeit ein?
Dirk Gojny: Derzeit passiert genau das, was ich "eigentlich" bereits für Ende letzten Jahres nach der Einleitung der Leitzinswende durch die Fed erwartet habe: Eine Phase der Unsicherheit im Zuge einer Neubewertung vieler Assetklassen. Die beiden vorhergehenden US-Leitzinswenden in 1999 und 2004 geben ein wenig das Muster für die Aktienmärkte vor. Über einen Zeitraum mehrere Monate gab es einen Rückgang der Aktienkurse begleitet von höheren Volatilitäten. In dieser Phase befinden sich die Märkte gerade. Das sollte noch ein wenig andauern, zumindest solange, bis es mehr Klarheit gibt, wie die Fed ihren weiteren Leitzinszyklus gestaltet. Die positive Nachricht, die von der ersten Zinserhöhung ausgeht, wird derzeit nicht honoriert: Nach langem Zögern hält die Fed die US-Wirtschaft für stark genug, dass sie höhere Leitzinsen verkraftet. Mit anderen Worten: Sie hat Vertrauen in die Wachstumskräfte, was wiederum gute Nachrichten für die Entwicklung der Unternehmensgewinne sind. Betrachtet man die übrigen weltweiten Rahmenbedingungen, so befindet sich die Weltwirtschaft auf einem, wenn auch flachen Wachstumspfad. Selbst im Euroraum gewinnt der zyklische Aufschwung an Dynamik. Einzig die Emerging Market bereiten etwas Kopfzerbrechen. Allerdings müssen sich die Kapitalmärkte wohl erst einmal daran gewöhnen, dass die Wachstumsdynamik dort hoch, aber nicht mehr so hoch wie in der Vergangenheit ist. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen passen also. Dass die Anleiherenditen stark steigen werden, ist in Anbetracht der Inflationserwartungen auch nicht zu erwarten. Außerdem werden mindestens zwei Notenbanken (EZB und Bank of Japan) mit ihrer ultra-lockeren Geldpolitik fortfahren und ggf. noch nachlegen. Dementsprechend befinden sich die Aktienmärkte auf einem soliden Fundament, suchen aber noch nach Orientierung.
Was überwiegt: Chancen oder Risiken?
Trotz der negativen Botschaften, die vor allem von der Markttechnik gesendet wird, überwiegen die Chancen. Ohne Klarheit über den geldpolitischen Kurs der Fed sollte man jedoch vorsichtig agieren, Pulver trocken halten und Positionen mit Stopps absichern!
Was könnte dem Markt richtig gefährlich werden?
Probleme gibt es noch genug: Sollte die chinesische Wirtschaft auf eine harte Landung zulaufen, wird das nicht ohne negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und damit die Unternehmensgewinne bleiben. Auch die diversen geopolitischen Konflikte haben zusammen durchaus die Kraft, die Stimmung auf den Kapitalmärkten negativ zu beeinflussen. Und in Europa ist die Schuldenkrise ja immer noch nicht überwunden. Das zeigt ein Blick auf die Verschuldung der Euroländer gemessen am BIP. Zugleich nimmt der Wille ab, Strukturreformen durchzuführen und die Haushaltskonsolidierung fortzuführen. Das zeigen nicht nur die politischen Entwicklungen in Griechenland, sondern auch in Portugal, Spanien, Italien, Frankreich oder Deutschland. Durch die Politik der EZB fehlt hier der Druck der Kapitalmärkte. Als letzter Punkt unter vielen ist noch der potentielle Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union anzuführen, sollte die Volksabstimmung das zum Ergebnis haben. Die Folgen sowohl für die Union als auch Großbritannien sind kaum abzuschätzen. Sollte es soweit kommen, würde es wohl nur Verlierer geben.
Viele sprechen vom Ölpreisschock. Ist der niedrige Preis nicht insgesamt ein Segen für die Weltwirtschaft?
Für alle Ölverbraucher wirken die geringen Ölpreise als kleines Konjunkturprogramm, das gerade im Euroraum sicherlich willkommen ist. Die Wirkung auf die Preisentwicklung sollte nicht überbewertet werden, da eine daraus resultierende länger anhaltende deflationäre Entwicklung, also ständig negative Preissteigerungsraten, unwahrscheinlich ist. Setzen sich die wesentlichen Produzenten an einen Tisch und wenn nur informell, kann es mit den niedrigen Ölpreisen schnell wieder vorbei sein. Bei den erdölexportierenden Nationen werden die niedrigen Ölpreise jedoch tiefe Spuren hinterlassen. Auch in den USA sind die Auswirkungen bereits sichtbar mit einigen Pleiten von Unternehmen, die im Fracking aktiv sind sowie dem (drohenden) Ausfall von High Yield Anleihen. Das sollte aber verkraftbar sein.
Wie beurteilen Sie die Situation in China: Hält das Land die Weltwirtschaft weiter auf Trab?
Dass sich das Wirtschaftswachstum in China abschwächen wird, war seit langer Zeit beispielsweise an den Prognosen des Internationalen Währungsfonds ablesbar. Die chinesische Führung hat außerdem immer wieder betont, das chinesische Geschäftsmodell umbauen zu wollen, so dass die Exportabhängigkeit verringert und die Binnenwirtschaft gestärkt wird. Das ging einher mit den Aussagen, dass man niedrigere Wachstumsraten dafür in Kauf nehmen würde. Genau das passiert. Unstrittig ist dabei, dass es innerhalb Chinas strukturelle Probleme mit Überkapazitäten in einigen Sektoren gibt. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen sollten aber ausreichen, um das abfedern zu können. In letzter Zeit wurden jedoch einige Kommunikationsfehler insbesondere hinsichtlich der Wechselkurspolitik begannen, die der Glaubwürdigkeit der chinesischen Politik einen Dämpfer versetzt hat. Das sollte sich nicht mehr (zu oft) wieder holen. Insgesamt wird China weiterhin eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielen, allerdings mit geringen Wachstumsraten.
Wie schätzen Sie die USA ein: Ist die amerikanische Wirtschaft stark genug für eine nachhaltige Zinswende?
Die Fed hat mit dem Einleiten der Leitzinswende zu lange gewartet, so dass der Schritt im Dezember letzten Jahres überfällig war, niedrigen Headline-Inflationsraten hin oder her. Die Wirtschaft befindet sich auf einem für US-amerikanische Verhältnisse moderaten Wachstumspfad, der überwiegend durch die Binnenwirtschaft getragen wird. Hier lässt sich kein Nachlassen der Nachfrage der Endverbraucher nach Gütern und Dienstleistungen erkennen. Der Arbeitsmarkt befindet sich in einem sehr guten Zustand. "NAIRU" ist nicht mehr fern. Dass die durchschnittlichen Stundenlöhne nur vergleichsweise gering anziehen, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass die neuen Jobs vor allem im schlecht bezahlten Dienstleistungssektor geschaffen werden und dass durch die Probleme in der US-Ölindustrie eine Vielzahl sehr gut bezahlter Arbeitsplätze abgebaut worden sind. Allerdings dürften die vielen neuen Jobs gerade konsumnahen Schichten zugute kommen: Jeder zusätzlich verdiente US-Dollar geht in den Konsum. Die gute Verfassung der Verbraucher lässt sich an den entsprechenden Stimmungsindikatoren ablesen. Der private Verbrauch wird also die entscheidenden Wachstumsbeiträge leisten. Das ist von der Industrie nicht zu erwarten. Der starke US-Dollar wirkt hier als Bremsklotz. Die Wettbewerbssituation hat sich verschlechtert und dürfte sich auf absehbare Zeit nicht verbessern. Der Staat kann inzwischen auch wieder investieren. Insgesamt kann die USA eine nachhaltige Zinswende gut verkraften. Die Fed muss ja schließlich daran denken, sich auf die nächste Rezession vorzubereiten und dazu benötigt sie ihr gesamtes geldpolitisches Instrumentarium.
Die Statistik spricht für ein schwaches Jahr für den DAX. Wo sehen Sie den Index am Jahresende?
Auch wenn der Weg noch sehr weit scheint, dürfte es nach heutiger Einschätzung wieder in die Richtung von 12.000 Punkten gehen.
Welche Märkte sind zu favorisieren?
Euroland, durchaus auch Small/Mid Caps: Wie in den USA profitiert der Euroraum vor allem von der Binnenwirtschaft, was sich positiv auf die Small / Mid Caps auswirken sollte. Ähnliches gilt für die USA.
Von welchen Märkten sollten die Anleger die Finger lassen?
UK: Brexit und die Rohstofflastigkeit lassen den britischen Aktienmarkt derzeit als wenig attraktiv erscheinen.