Ich habe die vergangenen Tage im emotionalen Abklingbecken verbracht, so aufgewühlt bin ich. Dabei sind es weder die Verkaufswellen an den Aktienmärkten, die mich an meine Grenzen bringen, noch die Angst vorm Brexit oder die haushaltspolitischen Luftschlösser aus Rom. Es sind die jüngst geäußerten Pläne der Bundesregierung. Falls sie es noch nicht wissen oder mitbekommen haben, weil Sie als von Fahrverboten bedrohte Besitzer eines Dieselautos zu beschäftigt sind, die Pläne des öffentlichen Nahverkehrs auswendig zu lernen: Deutschland wird zum internationalen KI-Hotspot umgebaut.
Kommentar von Martin Weiß
Wobei es der Begriff Hotspot nicht wirklich trifft. Was Berlin vorhat, ist nichts weniger als das Land zum Weltmarktführer bei künstlicher Intelligenz aufzurüsten. Selten habe ich so viel Entschlossenheit gesehen, wenn es darum geht, unseren gesellschaftlichen Wohlstand zu sichern und das Land fit für die Zukunft zu machen. Selten habe ich auch so gelacht. Jetzt mal im Ernst: Geht’s noch? Ich will nicht den Eindruck erwecken, künstliche Intelligenz wäre nicht wichtig. Das ist sie. E-Commerce, autonomes Fahren, Zukunftsmedizin? Ohne künstliche Intelligenz wäre all dies nicht denkbar. Das Zukunftspotenzial ist enorm.
Der Billionen-Markt
McKinsey schätzt, dass KI-Lösungen in den nächsten Jahren zusätzliche Werte zwischen 3,5 bis 5,8 Billionen Dollar schaffen werden, davon allein zwei Billionen durch die Optimierung der Warenwirtschaft. Um sich nicht nur irgendein, sondern das größte Stück vom Kuchen zu sichern, fördert Berlin das Thema 2019 mit 500 Millionen Euro. In den Folgejahren sollen weitere 2,5 Milliarden Euro aus dem Staatssäckel fließen. Angesichts dieser Summen bin ich versucht, vorzuschlagen, das Geld besser in BER zu versenken. Das zu erwartende Ergebnis wäre ein ähnliches. Die Förderung ist nämlich kaum der Rede wert, jedenfalls nicht unter globalen Aspekten und wenn man es mit China und den USA aufnehmen will. Beide Länder forschen seit Jahren an der KI und setzen Milliardensummen ein.

Das Ergebnis: Seit 2014 hat sich die Zahl der angemeldeten KI-Patente etwa aus China versiebenfacht. Chinas Regierung hat das Thema zur Chefsache erklärt, Konzerne wie Baidu, Alibaba und Tencent investieren Milliardensummen in die Entwicklung neuer KI-Lösungen – jedes Jahr! Allein bei Baidu betragen die Ausgaben für KI 15 Prozent der Umsätze. Dabei können sich die Unternehmen neben der massiven Unterstützung der Regierung in Peking auch der ihrer Kunden sicher sein. Was viele nämlich übersehen: Künstliche Intelligenz beruht auf Daten, je mehr davon, desto besser. Und niemand liefert mehr Daten als Chinas 800 Millionen Internetnutzer.

Berlin will bei künstlicher Intelligenz vorne mitmischen? Vielleicht sollten wir es erst einmal eine Nummer kleiner versuchen: beim gesunden Menschenverstand.