Von Joe Flint und Denny Jacob
The Wall Street Journal
Übersetzung: Laura Markus
Netflix will eine günstigere, werbefinanzierte Version seiner Plattform anbieten, um seinen Abonnentenstamm zu erhöhen. Der Streaming-Riese hat in diesem Quartal zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren Abonnenten verloren. Für das laufende Quartal rechnet das Unternehmen mit weiteren Verlusten.
Der Schritt ist eine große Veränderung für Netflix, denn es hat sich seit seiner Gründung als werbefreien Rückzugsort für seine Nutzer verkauft. Das Unternehmen kämpft mit einem langsameren Umsatzwachstum. Grund dafür sind der stärkere Wettbewerb durch konkurrierende Streaming-Dienste und die häufige gemeinsame Kontonutzung seiner Nutzer.
In einem Analysteninterview am Dienstag zu den Ergebnissen des ersten Quartals sagte Netflix-Vorstandschef und Co-CEO Reed Hastings, dass eine werbefinanzierte Version sehr viel Sinn mache.
„Wer Netflix kennt, weiß, dass ich gegen aufwendige Werbung und ein Fan des einfachen Abo-Modells bin“, so Hastings. „Aber ich bin ein noch größerer Fan der Entscheidungsfreiheit der Nutzer.“
Netflix hatte am Vortag mitgeteilt, dass es das erste Quartal mit 200.000 weniger Abonnenten abgeschlossen hat, als es im vierten Quartal hatte. Damit hat es die eigene Prognose von 2,5 Millionen neuen Abonnenten in diesem Zeitraum verfehlt. Das Unternehmen erwartet für das laufende Quartal einen Verlust von zwei Millionen Abonnenten weltweit.
Die Netflix-Aktie fiel nachbörslich um 25 Prozent. Zum Börsenschluss am Dienstag ist die Aktie in diesem Jahr bereits um mehr als 40 Prozent eingebrochen.
Laut dem Unternehmen haben die gemeinsame Nutzung von Passwörtern durch seine Nutzer und die zunehmende Konkurrenz im Streaming-Bereich auf das Umsatzwachstum gedrückt. Netflix schätzt, dass neben den fast 222 Millionen zahlenden Haushalten weitere 100 Millionen Haushalte den Dienst über gemeinsame Konten nutzen, davon 30 Millionen in den USA und Kanada.
In seinem Investorenbrief erklärte Netflix, dass es Abo-Modelle testet, bei denen für die gemeinsame Passwortnutzung Geld verlangt wird und somit die Einnahmen gesteigert werden können. Laut Hastings ist die gemeinsame Kontonutzung in Verbindung mit dem Wettbewerb der Grund für die geringere Abonenntenzahl und das niedrigere Wachstum. In der Zeit, in der Netflix schnell wuchs, hatte die Einschränkung der gemeinsamen Kontonutzung „keine hohe Priorität“.

Wie das Streaming-Unternehmen mitteilte, hat sich das Umsatzwachstum nach jahrelangen Zuwächsen von mehr als 20 Prozent nun deutlich verlangsamt. Im ersten Quartal stieg der Umsatz um rund zehn Prozent auf 7,87 Milliarden Dollar und lag damit unter den Erwartungen der Analysten von 7,93 Milliarden Dollar.
Netflix wies darauf hin, dass die Gewinne, die während der Corona-Pandemie erzielt wurden, die Schwachstellen kaschierten, die in den letzten Jahren im Unternehmen entstanden sind. „Corona hat das Bild getrübt, da es unser Wachstum 2020 erheblich gesteigert hat. Daher dachten wir, dass der Großteil unseres Wachstumsrückgangs im Jahr 2021 darauf zurückzuführen ist“, so das Unternehmen in seinem Schreiben.
Mit einer Wachstumsrate, um die es in der Branche seit mehr als zehn Jahren beneidet wird, gilt Netflix schon lange als Maßstab für Streaming. Jede Herausforderung, mit der das Unternehmen zu kämpfen hat, könnte weitreichende Auswirkungen auf seine Konkurrenten haben.
Durch den Rückgang der Netflix-Abonnements sank die Zahl der zahlenden Abonnenten weltweit auf 221,6 Millionen, gegenüber 221,8 Millionen im Vorquartal. Der Nettogewinn belief sich auf 1,6 Milliarden Dollar, gegenüber 1,71 Milliarden Dollar im Vorjahr.

Neben dem Wettbewerb und der gemeinsamen Kontonutzung spiegelt das verlangsamte Wachstum laut Netflix auch Faktoren wie die Verbreitung von Smart-TVs, Datenkosten und Weltereignisse wie die steigende Inflation, den Ukraine-Krieg und anhaltende Pandemieprobleme wider.
Die Abschaltung seines Dienstes in Russland hat Netflix 700.000 Abonnenten gekostet.
Da der Wettbewerb zunimmt und die Sendekosten steigen, hat das Unternehmen vor kurzem zum ersten Mal seit 2020 die Preise seiner Monatstarife angehoben.
Mit Blick auf die Performance von Netflix sagte Hastings: „Wir müssen einen Zahn zulegen“, um „wieder das Vertrauen unserer Investoren zu gewinnen“.
Die steigende Zahl an Streaming-Angeboten hat die Verbraucher preissensibler gemacht. Netflix ist einer der wenigen großen Streaming-Dienste, die bisher noch kein günstigeres, werbegestütztes Modell anbieten. Walt Disneys Hulu tut dies schon lange, und auch HBO Max und Disney+ von Warner Bros. Discovery bieten werbefinanziertes Streaming an.
Die operative Gewinnspanne von Netflix lag im ersten Quartal bei 25,1 Prozent, gegenüber 27,4 Prozent im Vorjahr. Das Unternehmen will seine operative Gewinnspanne künftig bei 20 Prozent halten.
Netflix will vor allem die Qualität seiner Programme und die Empfehlungen verbessern, die die Plattform ihren Kunden gibt, um sie für Inhalte zu begeistern und an den Dienst zu binden. Netflix gibt bereits mehr Geld aus als jeder andere Unterhaltungsdienstleister. Das Budget für die Programmgestaltung wird in diesem Jahr voraussichtlich 20 Milliarden Dollar übersteigen.
Obwohl Netflix einige Erfolgsserien wie „Stranger Things“, „Bridgerton“ und „The Crown“ zeigt, musste die Plattform in letzter Zeit auch einige teure Flops wie „Jupiter Ascending“ und „Space Force“ hinnehmen.
„Wir müssen jeden Monat Hits wie das ‚Adam Project‘ und ‚Bridgerton‘ herausbringen“, sagte Co-CEO und Chief Content Officer Ted Sarandos während des Analysteninterviews.
Was das weltweite Geschäft betrifft, spürt Netflix in Mittel- und Osteuropa die Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Auch in Lateinamerika verlor der Dienst 400.000 Abonnenten. In den USA und Kanada verlor das Unternehmen 600.000 Abonnenten, was es auf seine letzte Preiserhöhung zurückführte.
In Japan, Indien, auf den Philippinen, in Thailand und Taiwan ist das Unternehmen nach eigenen Angaben gewachsen.
„Langfristig werden wir einen Großteil unseres Wachstums außerhalb der USA erzielen“, so Netflix.