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Foto: „Da investieren, wovon man etwas versteht.“
30.06.2020 Florian Söllner

Dr. Mario Herger: Disruption im Zeitraffer

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Skype-Call ins Silicon Valley: Dr. Mario Herger zu Autos ohne Fahrer, künstlicher Intelligenz und den Auswirkungen der Coronakrise auf Branchen, Unternehmen und unser tägliches Leben.

Mario Herger ist Zukunftsforscher, Unternehmer, Mentor für Start-ups und bestens vernetzt im Silicon Valley. Und er ist Optimist: In seinem neuen Buch „Corona als Chance“ zeigt er positive Entwicklungen auf, die durch die Zwänge der Coronakrise erst möglich wurden – zusammen mit spannenden Unternehmen und Branchen. Grund genug für ein Gespräch.

„Da investieren, wovon man etwas versteht.“
Dr. Mario Herger lebt seit 2001 im Silicon Valley, forscht nach Technologietrends, schreibt Bücher dazu und berät Unternehmen zu Themen wie ­Innovation, künstliche Intelligenz oder autonomes Fahren. Lange Jahre war er bei SAP unter anderem als Entwicklungsleiter beschäftigt. Er berät Unternehmen, wie sie den innovativen und entrepreneurischen Spirit aus dem Silicon Valley auf ihre Organisationen übertragen können. Sein Buch „Der letzte Führerscheinneuling ist bereits geboren“ ist ein Bestseller.

DER AKTIONÄR: Du hast Dich in Deinem Buch „Corona als Chance“ mit den „positiven Effekten“ von Corona befasst. Wieso bist Du so zuversichtlich, dass man hier Chancen ergreifen kann, obwohl es ja in der Wirtschaft tatsächlich Verwerfungen gab?

Dr. Mario Herger: Das stimmt natürlich. Es ist auch eine furchtbare Zeit im Sinne von: Viele Leute sind erkrankt und gestorben. Gerade in den USA: bis heute 120.000. Aber eine Krise wie diese ist auch immer eine Chance, denn sie bricht bestehende Strukturen auf und Verhaltensweisen, die wir uns mit einer gewissen Routine angeeignet haben, und lässt uns hinterfragen, was wir eigentlich genau machen. Plötzlich kommen verstärkt Sachen hoch, die wir lange hinausgeschoben haben, weil wir keine Notwendigkeit gesehen haben. Ganz konkret: Die Digitalisierung – plötzlich muss jeder zu Hause sitzen und es stellt sich heraus, dass gerade die Digitalisierung, über die wir in Deutschland sehr viel reden, die wir aber wenig machen, plötzlich ganz wichtig geworden ist, dass man von zu Hause sein Unternehmen weiterbetreiben kann. Insofern beschleunigt so eine Krise gewisse Trends, die schon da waren, aber nicht ernsthaft angegangen wurden.  

80 Prozent der Mitarbeiter sagen, sie seien im Homeoffice mindestens so produktiv wie zuvor. Wird man auch nach Corona verstärkt von zu Hause aus arbeiten oder war diese Entwicklung nur ein Strohfeuer? 

Einer der wichtigsten Sätze, die man in den nächsten Monaten und Jahren hören wird ist: „Es ist doch aber bei Corona auch gegangen.“ Das heißt: Vorher hatte man keine Erfahrung oder wenig Erfahrung in vielen Industrien mit Work from Home, also dem Arbeitsplatz zu Hause. Jetzt ist jeder dazu gezwungen worden.  

Man erkennt, dass Mitarbeiter, die von zu Hause arbeiten können, Lebenszeit hinzugewinnen, weil sie nicht mehr pendeln müssen. Ich denke, dass das Dogma, es müssen alle in der Firma sein, etwas abgemildert werden wird. Vielleicht werden wir zwei, drei Tage in der Woche von zu Hause arbeiten. Man ist konzentrierter, wird nicht dauernd gestört von Meetings, durch Kollegen, die hereinkommen, und ich denke, man wird auch einen Weg finden, wie man das besser machen kann. 

Das bringt uns natürlich gleich in die Richtung: Was ist mit Büroimmobilien? Da wird man sehen, man braucht vielleicht solche Büroimmobilien in dieser Menge gar nicht mehr. Es wird ein gewisser Druck auf Unternehmen entstehen, die Büros anbieten. 

Dr. Mario Herger, Corona als Chance, 120 Seiten, 12,99 €, Nur als E-Book erhältlich - Bei allen negativen Seiten war Corona auch ein Feldversuch, in dem Unternehmen und ­Regierungen neue, innovative Technologien und Routinen zur Anwendung brachten – von Homeoffice und Videokonferenz bis hin zum bedingungslosen Grundeinkommen. Die Frage stellt sich: Wie geht es weiter? Was wird geschehen? Wer wird profitieren und wer wird leiden? Antworten gibt Zukunftsforscher Mario Herger in diesem Buch.

Einige im Homeoffice haben die Börse für sich entdeckt. Viele setzen auf Tech-Aktien wie Tesla. Findest Du das positiv, dass sich jetzt viele auf Zukunftsaktien stürzen, oder warnst Du?

Ich denke, es ist generell gut, sich mit Tech-Aktien zu beschäftigen. Nicht nur, weil sie eine relativ gute Performance hatten und von der Krise profitieren konnten. Sondern weil auch die Menschen, die jetzt investieren, interessierter sind. Wir tendieren bei uns zu Hause in Deutschland dazu, dass wir Technologien immer eher kritisch gegenüberstehen. Und plötzlich muss es eben sein. Und dann sieht man das aus einer anderen Perspektive. Vielleicht führt das auch dazu, dass wir mehr Investoren haben, die in solche Zukunftsunternehmen investieren. 

Ein Thema, das uns alle fasziniert, ist das autonome Fahren. Wir hatten nach Ausführungen von Elon Musk gehofft, 2018 geht es schon los. Es hat sich aber verzögert. Wie geht es weiter? 

Wenn Elon Musk einen Zeitraum nennt, dann muss man ihn zwar immer verdoppeln oder verdreifachen, aber er liefert immer. 

Es gibt eine ganze Reihe anderer Firmen, die da noch weiter als Tesla sind – wie etwa Waymo, die Google-Tochter. Wir haben hier im Silicon Valley aktuell 66 Unternehmen, die eine Lizenz haben, auf den Straßen das autonome Fahren zu testen. Sie fahren mit 800 Autos herum. Waymo ist heute das Unternehmen, das auch ohne Fahrer fahren darf. Es braucht niemand mehr im Auto sitzen und das wird auch bereits in Arizona gemacht, wo sie in natürlich noch relativ einfach zu befahrenden Vororten fahren, aber schon so mutig sind, dass sie selbst in die Schulzonen fahren, wo kleine Kinder über den Gehweg gehen, und zwei Meter davor stehenbleiben. Da muss man schon ein gewisses Vertrauen in die eigene Technologie haben, dass man das macht.  

Und das ist mehr oder weniger schon der erste kommerzielle Roboter-Taxi-Service. Und jetzt geht es darum, diese Technologie herauszubringen und zu skalieren. 

Wann können wir ein solches Interview im Roboter-Taxi machen?  

Ich hoffe, sehr bald. In der Bay Area können wir das vielleicht in zwei oder drei Jahren machen.

Zurücklehnen und das Roboterauto fahren lassen – ein Traum, der laut Dr. Mario Herger bald wahr wird.

Ohne KI kein Roboterauto. Haben europäische Firmen die Chance, bei der künstlichen Intelligenz mitzuhalten?

Damit künstliche Intelligenz funktioniert, benötigt man ein Fundament. Das ist Big Data – die Unmenge an Daten, die man erzeugen kann, die wir aber aus Datenschutzgründen verhindern. Wir haben Breitbandanschlussprobleme, wir haben eine Grundskepsis gegenüber digitalen Werkzeugen. 

Thema KI-Experten: Die Top 80 bis 85 Prozent davon arbeiten bei einer Handvoll US-Unternehmen. Das sind IBM, Google, Facebook, Uber, Microsoft und Intel. Der Rest arbeitet in China. In Europa gibt es die großen Digitalunternehmen nicht, die auch diese großen Mengen an Daten haben. Die traditionellen deutschen Hersteller kommen eben nicht aus der Digitalbranche. Der Wert von Algorithmen ist hier etwas weniger hoch bewertet oder angesehen.  

Was wird uns bis 2030 überraschen? 

Während der Coronakrise hat sich die Ausbreitung von kleinen Kühlrobotern beschleunigt. Plötzlich sind in ganz vielen Städten solche Roboter zur Lieferung von Medikamenten oder Pizza aufgetaucht. Wir werden in zehn Jahren umgeben sein von Tausenden Robotern, die uns helfen. 

Hast Du zum Abschluss einen Tipp für Tech-Investoren? 

Da investieren, wovon man selbst etwas versteht. Vielleicht nicht gerade auf chinesische Firmen setzen. Videokonferenzen, Breitbandausbau, künstliche Intelligenz, Homeoffice-Lösungen oder Vernetzung von Autos oder Maschinen werden spannend.

Dieser Artikel ist in DER AKTIONÄR Nr. 27/2020 erschienen, welches Sie hier als PDF gesamt herunterladen können.

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