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02.02.2022 von Barron's

Meme-Aktien: Nur ein Strohfeuer?

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GameStop

Von Carleton English
Barron’s
Übersetzung: Stefanie Konrad

Die Börse hat in den letzten 200 Jahren schon viele Hypes erlebt. Im Januar 2021 kam dann aber ein wirklich einzigartiger Trend auf: der Handel mit Meme-Aktien. Neue private Trader haben Aktien wie die von GameStop und AMC in geradezu astronomische Höhen steigen lassen. Was ist ein Jahr später daraus geworden?

Das Geld für den Handel hatten viele der Trader aus den staatlichen Konjunkturpaketen. Zudem wurden sie durch kostenlose, einfache Plattformen wie Robinhood zum Handel an der Börse ermutigt. Diese neuen Anleger haben Virtual Communities auf Social-Media-Websites wie Reddit gegründet. In Foren diskutierten sie über verschiedene Themen – zum Beispiel über ihren Antrieb, reich zu werden, oder darüber, „dem Establishment“ einen Dämpfer zu verpassen. Gemeint sind damit Hedgefonds, die gegen diese Aktien gewettet hatten.

Gelinde gesagt: Die Ziele der Meme-Trader waren eigenartig. Da gab es GameStop, den angeschlagenen Anbieter von Videospielen, der Verluste machte und sich schwer tat, eine Strategie für das digitale Zeitalter zu entwickeln; AMC, dessen Kinos durch die Pandemie geschlossen wurden; und BlackBerry, dessen einst weit verbreitete Mobiltelefone so gut wie verschwunden waren. Kurz gesagt: Für Anleger, die sich auf Fundamentaldaten stützen, machte der Handel mit Meme-Aktien nur wenig Sinn. Aber dasselbe konnte man letztes Jahr über viele andere spekulative Anlageformen sagen – von Kryptowährungen über NFTs bis zu SPACs. Alle profitierten von den extrem niedrigen Zinssätzen und der Geldflut, mit der ein wirtschaftlicher Zusammenbruch durch Corona verhindert werden sollte.

Da die staatlichen Konjunkturmaßnahmen nun auslaufen und die Federal Reserve bald die Zinsen anheben wird, sind die Kurse vieler dieser Aktien gefallen. Und es könnten noch größere Verluste folgen. Wer das Phänomen der Meme-Aktien jedoch als Kuriosität aus der Ära der Niedrigzinspolitik abtut, verfehlt das große Ganze: Digitale Tools, von Trading-Apps bis hin zu Reddit-Foren, haben den Einfluss von Privatanlegern auf eine Weise verstärkt, die die Wall Street gerade erst zu verstehen beginnt. Der Meme-Handel mag zwar langsam verblassen. Die Technologie, die jeden in einen Trader verwandeln kann, bleibt aber bestehen und wartet nur darauf, wieder einmal eingesetzt zu werden, um die Börse auf den Kopf zu stellen.

Der Meme-Aktien-Boom ließ sich mit den üblichen journalistischen Mitteln kaum erfassen. Es gab nur spärliche Daten, um die Auswirkungen dieser Händler auf den Markt zu ermitteln. Experten ließen sich zwar darüber aus, schienen aber kaum echte Antworten zu haben. Analysten schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und gingen der Sache aus dem Weg.

Es war an der Zeit, Erfahrungen aus erster Hand zu sammeln. Und so eröffnete ich im Oktober mit der Ermutigung meiner Redakteure ein Robinhood-Konto und zahlte 250 Dollar darauf ein.

Das erwies sich als komplizierter, als es klingt. Bei Barron's ist es Reportern untersagt, einzelne Aktien zu besitzen und aktiv mit Aktien oder Optionen zu handeln. Es wurden Pläne geschmiedet, Genehmigungen eingeholt, und es wurde vereinbart, dass alle meine Gewinne, falls es welche geben sollte, an den Dow Jones News Fund gehen würden. Und so stürzte ich mich ins Getümmel.

Oder was davon übrig war.

Man kann den Ansturm von Privatanlegern auf den Aktienmarkt vor einem Jahr gar nicht oft genug betonen. Nach Angaben von S&P Global Market Intelligence stieg das Handelsvolumen bei Charles Schwab und TD Ameritrade im Februar 2021 auf durchschnittlich neun Millionen Transaktionen pro Tag, im Vergleich zu knapp über drei Millionen im Vorjahr. Dieses Geld zielt speziell auf stark geshortete Aktien ab. Dazu zählen GameStop, dessen Short Interest 142 Prozent betrug; und AMC, dessen Short Interest Anfang Januar bei 60 Prozent lag, so die Daten von S3 Partners. Die Meme-Trader waren aber nicht damit zufrieden, nur bei Trades die Gegenseite zu übernehmen. Auch in den sozialen Medien hatten sie es auf die Shortseller abgesehen. Melvin Capital Management, ein milliardenschwerer Hedgefonds, hatte GameStop in großem Umfang geshortet und zog sich dadurch nun den Zorn der Anleger zu. Angesichts steigender Verluste infolge der Deckung seiner Leerverkäufe musste der Fonds eine Finanzspritze in Höhe von 2,75 Milliarden Dollar seitens der Hedgefonds Point72 Asset Management und Citadel akzeptieren.

Zu dem Zeitpunkt, als ich im vergangenen Oktober einstieg, schien der Antrieb weitgehend verschwunden zu sein. WallStreetBets hatte zwar mehr als elf Millionen Mitglieder, hatte aber auch stärkere Schutzmaßnahmen ergriffen und verlangte für die Teilnahme die Zustimmung eines Moderators – eine Zustimmung, die ich nicht erhielt. Als Reddit-Neuling konnte ich bei WallStreetBets zwar Beiträge lesen, aber nichts posten.

In der Zwischenzeit war der Anteil der Leerverkäufe bei GameStop auf zwölf Prozent geschrumpft. Es gab also nur noch wenige Leerverkäufe, die man ausquetschen konnte. Ohne Shortseller pendelten sich Meme-Aktien wie AMC und GameStop in einem Kursbereich ein, der für alle langweilig wirkte – außer für die wahren Fans.

GameStop (WKN: A0HGDX)

Wie viele andere auch war ich auf der Suche nach neuen Erfolgstiteln, deren Kurse in irrwitzige Höhen steigen würden, und wollte die anfängliche Euphorie des Meme-Tradings miterleben. Ich kaufte jeweils fünf Aktien von Cleveland-Cliffs, einem Stahlproduzenten mit Sitz in Ohio, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1847 zurückreichen, und von SmileDirectClub, einem acht Jahre alten Unternehmen für Telezahnmedizin, das durchsichtige Zahnschienen herstellt und vor drei Jahren an die Börse ging.

Ich habe nicht viel Geld investiert – nur 100 Dollar auf Cliffs und 33,35 Dollar auf SmileDirect –, aber wie Millionen andere auch konnte ich die Robinhood-App kennenlernen. Jede Benachrichtigung auf meinem Smartphone sorgte für Nervosität, und meine erste Reaktion – zum Beispiel der Wunsch, verlorene Einsätze zu verdoppeln – stand oft im Widerspruch zu konventionellen Investitionsstrategien.

„Beim Investieren können Sie sehen, wie sich ihr Geld vermehrt, ohne dass Sie dafür ‚arbeiten‘ müssen. Und selbst wenn Sie verlieren, macht es Spaß, dem nächsten Gewinn hinterherzujagen“, sagt Adam Alter, Professor für Marketing an der NYU Stern School of Business. Die US-Börsenaufsichtsbehörde, die Securities and Exchange Commission, hat angekündigt zu überprüfen, ob solche digitalen Warnmeldungen einer Regulierung bedürfen.

Allerdings habe ich nie den Nervenkitzel erlebt, wenn die breite Masse die eigenen Aktien in die Höhe treibt. Cleveland-Cliffs stieg einmal um mehr als 20 Prozent – eine schöne Sache, die durch die Hoffnung auf Infrastrukturausgaben befeuert wurde. Aber das war nicht dasselbe wie bei GameStop. SmileDirect war eine Katastrophe und verlor im Jahr 2021 80 Prozent – ohne dass WallStreetBets etwas dagegen tun konnte.

Am nächsten kam ich einem Gewinn, als ich am 04. November zum ersten Mal mit Optionen handelte. Ich entschied mich für Bed Bath & Beyond (BBBY), einen angeschlagenen Einzelhändler, der sich nach der Ankündigung eines Aktienrückkaufprogramms und einer Partnerschaft mit der Supermarktkette Kroger mitten in einem Sanierungsprozess befand. Obwohl die Aktien um mehr als 15 Prozent gestiegen waren, entschied ich mich dafür, eine Call-Option für 26 Dollar zu kaufen, die am 26. November zu einem Preis von 63 Dollar auslief. An einem Tag hatte sich der Wert der Option fast verdreifacht.

Viele Menschen haben sich gefragt, wie eine Gruppe von Privatanlegern den Markt so schnell erschüttern konnte. Optionen mit ihrer integrierten Hebelwirkung spielten dabei eine große Rolle. Wenn die Aktienkurse steigen, können kleine Geldbeträge ganz leicht zu großen Gewinnen werden. Aber sie können auch genauso schnell wieder verpuffen und die Market Maker zum Kauf zwingen, um ihr Engagement abzusichern – was die Aktienkurse noch weiter in die Höhe treibt.

Retail-Broker gewähren zwar ihren Nutzern je nach Erfahrung unterschiedliche Berechtigungen für den Optionshandel. Es gibt aber weniger Hindernisse für den Optionshandel als früher. Nach dem Selbstmord des 20-jährigen Alex Kearns im Jahr 2020, der glaubte, 730.000 Dollar durch fehlgeschlagene Optionsgeschäfte verloren zu haben, hat Robinhood Änderungen vorgenommen. Die Plattform verschärfte ihre Zulassungskriterien und kündigte an, den Händlern mehr Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen sowie die Anzeige der Kontostände zu ändern.

Für mich war es einfach, mich für den Optionshandel zu qualifizieren. Die Optionen, insbesondere für GameStop und AMC, stiegen stark an. Das Gesamtvolumen der Aktienoptionen erreichte in der ersten Novemberwoche 2021 78,3 Millionen Kontrakte, im Vergleich zu 45,8 Millionen in der gleichen Woche des Jahres 2020. Dabei entfielen 39 Prozent des Volumens auf private Trader, wie aus den Daten von SentimenTrader hervorgeht. Und ich mit meinem Vertrag über Bed Bath and Beyond-Aktien war einer von ihnen.

An Black Friday lief dann die BBBY-Option aus – ohne Gewinn. Die Euphorie, die Aktien Anfang November in die Höhe getrieben hatte, verflog, als die Nachricht von der Omikron-Variante die Aktien von Privatanlegern sinken ließ. Was bedeutete das für mich? Ich verlor meine 63-Dollar-Prämie und musste klein beigeben.

Mein Abstecher in den Meme-Handel endete bald darauf. Von den 250 Dollar, mit denen ich auf dem Robinhood-Konto angefangen hatte, habe ich etwa 84 Dollar verloren – dank meiner fehlgeschlagenen Investition in Bed Bath & Beyond, die mich 63 Dollar gekostet hat, und dem 56-prozentigen Einbruch bei SmileDirectClub aus meinem ersten Kauf. Ich erlebte den Nervenkitzel des Meme-Handels, aber nicht das berauschende Gefühl, Teil der Menge zu sein, die Aktien immer weiter nach oben treibt und dabei der Wall Street eine lange Nase macht.

So wie es aussieht, wird der Meme-Handel jetzt nur noch künstlich am Leben erhalten. Die Märkte schwächeln nun, da die Federal Reserve die Leitzinsen erhöhen will. Das Gewinnpotenzial, das Privatanleger antreibt, wird dadurch geschwächt. Die Communities treffen sich zwar immer noch auf dem Subreddit WallStreetBets, um Ideen auszutauschen, aber sie sind nur zu einem weiteren Instrument geworden, das von der Wall Street zu Geld gemacht wird. Sie werden nicht verschwinden, aber ihr Einfluss, die Märkte zu bewegen, scheint vorerst gebrochen.

„Obwohl der Aktienhandel in den USA bei Privatanlegern seit dem ersten Quartal 2021 zurückgegangen ist, bleibt die Öffentlichkeit aktiver am Markt als vor der Pandemie“, sagt Thomas Mason von S&P Global. „Wir gehen davon aus, dass dieses insgesamt erhöhte Interesse der Privatanleger anhalten wird, auch wenn plötzliche Rallys bei einzelnen Aktien jetzt weniger wahrscheinlich sein werden.“

Die Auswirkungen für Unternehmen, die von dem Meme-Hype angesteckt wurden, könnten dennoch von langer Dauer sein. AMC hat seinen Meme-Status schnell genutzt, um sich Kapital zu beschaffen. Im Zuge von zwei Aktienemissionen konnte es seine Bilanz mit einer Milliarde Dollar aufbessern. Das Unternehmen konnte sich so gut positionieren, dass es die Pandemie nicht nur überlebt hat, sondern auch erfolgreich ist – falls die Menschen wieder ins Kino gehen. Und GameStop hat durch zwei Emissionen 1,7 Milliarden Dollar eingenommen. Mit Ryan Cohen, dem Mitgründer von Chewy, als Vorsitzenden hat es sich Zeit verschafft, um herauszufinden, wie man Geld verdienen kann, wenn die Verkäufe physischer Videospiele zurückgehen. Das ist gut für die Unternehmen, auch wenn es sich nicht unbedingt um lukrative langfristige Investitionen handelt.

Auch wenn das Phänomen des Meme-Handels aus dem Jahr 2021 wirklich verblassen sollte, werden die Auswirkungen weiterhin spürbar sein. Der Handel war noch nie für so viele Menschen so leicht zugänglich. Man muss nur ein paar Mal auf das iPhone tippen und schon kann man Geld anlegen. Und nie zuvor war es so einfach, Informationen online auszutauschen, auch wenn ihre Qualität recht unterschiedlich ist. Die Menschen werden sich weiterhin den Einfluss der digitalen Welt zunutze machen – in der Hoffnung, finanzielle Gewinne zu erzielen, sei es durch NFTs, Kryptowährungen oder etwas, das noch nicht erfunden wurde.

Was auch immer der nächste Hype sein wird, er wird wahrscheinlich digitaler Natur sein. Schnell, einfach – und mit ein bisschen Nervenkitzel.

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