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08.02.2016 Florian Söllner

Friedman exklusiv: 2016 droht Gefahr; „Flüchtlinge werden keine Deutsche“; Merkel und Tesla-Chef wichtiger als Trump

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Seine Meinung hat Gewicht. George Friedman ist Gründer und Vorsitzender von Geopolitical Futures und ehemaliger Direktor von Stratfor. Er ist weltweit anerkannter Politologe und Publizist sowie Autor von sechs Büchern, darunter der New York Times Bestseller The Next Hundred Years und sein jüngstes Buch Flashpoints. DER AKTIONÄR hat ihn zur deutschen Wirtschaftskraft, der Flüchtlingskrise und den US-Wahlen befragt.

DER AKTIONÄR: Während der Flüchtlingskrise der letzten Monate hat es Bundeskanzlerin Merkel geschafft, ihre “Wir schaffen das!” - Position beizubehalten. Die Ereignisse in Köln und anderen deutschen Städten haben die Situation grundlegend geändert. Was sollte die deutsche Regierung aus Ihrer Sicht unternehmen, um die Kontrolle wieder zu erlangen?

George Friedman: Die USA sind als Staat ein künstliches Gebilde. Deutschland ist ein kulturelles Gebilde. Um Amerikaner zu werden, bedarf es eines Verwaltungsakts. Um ein Deutscher zu werden, bedarf es einer historischen Beziehung. Das ist eine Frage der Geburt, der Kultur und vieler anderer Dinge. Warum ist das für die aktuelle Situation von Bedeutung? Europa hatte schon immer ein Problem mit Außenseitern und Fremden – nehmen wir einfach mal die Juden als Beispiel. Die aktuellen Integrationsprobleme haben zum Teil ihren Ursprung im Gastarbeiter - Phänomen aus den sechziger Jahren. Die reichen Europäischen Nationen ließen sie kommen, ließen sie in Ghettos leben und nannten das dann „Multikulti“. Es gab keine echte Integration. Nehmen wir jetzt ein Land, dass jeden, der nicht von Geburt an dazugehört, nicht oder nur sehr schwer integriert. Und machen wir uns klar, dass dies für ganz Europa gilt. Wie soll dieses Land dann bitte Menschen integrieren, die in ihrer Kultur und Mentalität so fundamental anders sind, wie eben beispielsweise die Flüchtlinge aus den Mittleren Osten?

Sie glauben also, die kulturellen Unterschiede verstärken ein ohnehin existierendes Problem?
Ausländer zu integrieren war in und für Europa schon immer ein Problem. Die Ereignisse von Köln und Paris haben die Situation verschärft, sind aber nicht Kern des aktuellen Problems. Auch ein paar Terroristen, die gemeinsam mit den Flüchtlingen nach Europa gelangen, sind nicht das Problem. Machen Sie sich bitte klar, dass wir, was Syrien angeht, über Krieg reden. In einem Krieg gibt es immer Flüchtlinge. Und unter Flüchtlingen – denken Sie auch an den Kalten Krieg – hat es schon immer Spione und Agenten gegeben. Alles nichts Neues. Die wirklich interessante und fundamentale Frage lautet: Wie wird man Deutscher? Wie wird man Europäer? Und das ist richtig schwer.

Glauben Sie, dass die Flüchtlingskrise nicht auch eine Chance für Deutschland sein könnte, beispielsweise, um unser Demografieproblem zu lösen?
Nein, da es Deutschland nicht gelingen wird, diese Menschen zu integrieren. Somit werden daraus auch keine Deutschen werden. Wenn Sie Ihr Demografieproblem lösen wollen, dann lautet die Lösung, dass deutsche Frauen mehr Kinder bekommen müssen. Ganz einfach. Und nach dem, was wir aktuell wissen, wird das vermutlich nicht passieren. Das ist für sich genommen noch kein Problem. Ein Problem wird es erst in Verbindung mit ihrem BIP. Ihr BIP wird schrumpfen. Wenn das BIP langsamer schrumpft als die Bevölkerung, dann steigt ihr BIP pro Kopf sogar. Sie bekommen nur dann ein Problem, wenn das BIP schneller zurückgeht, als ihre Bevölkerung, während Sie gerade versuchen, eine Million Ausländer zu integrieren. Die spannende Frage lautet: Was machen Sie gegen dieses Problem, wenn Sie in einer Welt wie der heutigen Exportweltmeister sind? Kleiner Tipp: Es ist keine gute Welt für Exportweltmeister.

Warum nicht?
Weil Ihr BIP vom Export abhängt. Und einerseits leben Sie in einer Welt, die in eine Rezession abgleitet. Und andererseits leben Sie in einer EU, die als Freihandelszone zu scheitern droht – denken Sie an die Grenzzäune, die wieder aufgerichtet werden. In dieser Welt haben Sie ein Problem.

Wie beeinflusst Angela Merkels “Wir schaffen das!” Europa?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen „Wir werden das schaffen!“ und „Wir schaffen das jetzt gerade!“. Frau Merkel ist mittlerweile sehr isoliert. Wie soll Europa eine Million Flüchtlinge integrieren? Dafür ist es nicht ausgelegt.

Die Grenzen sind offen. Henry Kissinger sagte jüngst, das hat noch kein Staat in tausend Jahren gemacht. Was denken Sie?
Ich musste lachen. Schließlich ist Henry hier, weil die USA ihre Grenzen aufgemacht hatten. Er hätte es vielleicht auf Europa beschränken sollen. Da stimmt es. Was Deutschland angeht, bin ich gespannt, ob Frau Merkel die nächste Wahl gewinnt und das dann ins Gesetz schreiben lässt. Solange es kein Gesetz ist, ist sie eine nette ältere Dame, die ihre Meinung sagt.

Auch internationale Medien beschäftigen sich mit der Situation in Deutschland. Ein Kolumnist der New York Times hat gefordert, dass Angela Merkel zurücktreten soll. Was sagen Sie?
Als Angela Merkel vor zehn Jahren an die Macht kam, war Europa war vollkommen anders als das Europa, dass wir nun haben. Die europäischen Führer leben aber in dieser alten Zeit und wollen sie zurück haben. Sie werden sie aber nicht wieder bekommen. Frau Merkel ist ein brillanter Politiker aber sie schafft es nicht – wie viele andere – die Tatsache zu akzeptieren, dass das Europa, das sie kannte, als sie Kanzlerin wurde, nun Geschichte ist. Aber grundsätzlich würde es keinen Unterschied machen, wenn jemand anderes an der Macht wäre. In ganz Europa verstehen die klassischen Parteien nicht, dass die aktuelle Krise die neue Normalität ist – mit allen damit verbundenen Folgen, wie z.B. Nationalismus etc.

Wie sieht dann das Resultat aus?
Europa wird wieder so chaotisch werden, wie es immer war. Die Ära von 1991 bis 2008 war die Ausnahme, nicht die Regel. Auch der Frieden im Kalten Krieg war keine Leistung der Europäer. Er war der Tatsache geschuldet, dass Europa nicht souverän war, sondern zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion stand. In meinem Buch sage ich: Die EU basiert auf dem Versprechen von Wohlstand und Frieden. Was passiert, wenn man den Wohlstand wegnimmt?

Wie sehen Sie Syrien. Wer handelt da wie und warum?
Syrien ist – zynisch gesagt – faszinierend. Zunächst standen die USA Assad feindlich gegenüber. Dann hätten sie ihn – wegen ISIS – unterstützen müssen, konnten aber nicht. Dann kamen die Russen und haben getan, was die USA nicht tun konnten.

Wie meinen Sie das?
Das Szenario sieht so aus: Wenn Assad fällt, kommt ISIS an die Macht. Wenn ISIS in Damaskus an der Macht ist, dann betrifft das direkt und unmittelbar Israel und führt zu einem Krieg in der Region. Was Russland und die USA getan haben, war strategisch brillant. Einerseits wollen die USA in der Ukraine nicht zu sehr involviert sein. Und andererseits wollen sie auch Assad aktuell nicht stürzen sehen. Und was sehen Sie gerade? Russland spricht mit Europa über die Ukraine und die USA halten sich deutlich zurück. Oder noch deutlicher gesagt: Die Russen konnten etwas tun, was die Amerikaner nicht tun konnten. Die Amerikaner wussten aber, dass das einen Preis haben würde. Der Preis ist ein Abkommen über die Ukraine. Die Ukraine und Syrien hingen von Anfang an zusammen.

Wie wird die Welt am Ende dieses Jahres aussehen? Friedlicher und glücklicher als heute oder wird alles noch schlimmer geworden sein?
Gehen wir einen Schritt zurück. Sie müssen die Entwicklung der letzten Jahre betrachten. Zunächst: die Rezession in 2008. Die hat, salopp gesagt, China umgebracht. Bei China dachten aber alle, dass es sehr schnell wieder auf die Beine kommt. Als klar wurde, dass das nicht geschehen wird, begann der Crash des Ölpreises. Der wiederum führte zur aktuellen Ölkrise, die vor allem Ländern wie Saudi- Arabien oder Russland betrifft. Unterm Strich führt das zu einer weltweiten Exportkrise.

Was bedeutet das für Deutschland?
In den USA steht der Export für rund 13 Prozent des BIP – und viel davon kommt aus dem Handel mit Mexico und Kanada. In Deutschland sind es 50 Prozent. Für mich ist Deutschland aktuell die am meisten gefährdete Volkswirtschaft in Europa. Wir sehen erste Anzeichen eines Wirtschaftsabschwungs. Nun meine Frage: Wie geht es Deutschland, wenn es ein Viertel seiner Exporte einbüßt? Ich befürchte, diese Entwicklung wird 2016 beginnen.

Letzte Frage zu den USA. Was kommt nach Obama? Trump?
Kurioserweise sehen die Europäer den US-Präsidenten als derart wichtig an. Tatsächlich ist er nicht so wichtig und mächtig wie meinetwegen der deutsche Kanzler. Er wird durch den Kongress und viele andere Mechanismen ausgebremst. Für mich ist ein Elon Musk viel wichtiger als Donald oder Hillary.

Dieses Interview ist in AKTIONÄR-Ausgabe 05/2015 erschienen. Das Buch Flashpoints von George Friedman kann hier geordert werden.


Wird Europa wieder brennen?

Foto: Börsenmedien AG

Autor: Friedman, George
ISBN: 9783864703126
Seiten: 384
Erscheinungsdatum: 27.08.2015
Verlag: Plassen Verlag
Art: gebunden
Verfügbarkeit: als Buch und eBook verfügbar

Weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie hier

Wird Europa wieder brennen? Politologe und Bestsellerautor George Friedman (»Die nächsten 100 Jahre«) mit kühnen und teilweise beängstigenden Thesen zur Zukunft Europas. George Friedman stellt drei Fragen. 1.: »Wie erreichte Europa seine globale Dominanz in politischer, militärischer, wirtschaftlicher und intellektueller Hinsicht?« 2.: »Was lief schief, sodass Europa diese Dominanz zwischen 1914 und 1945 wegwarf?« 3.: »Wird Europa in Zukunft so aussehen wie in der Friedensperiode, die sich an 1945 anschloss, oder wird es zu seinen historischen Fehlern zurückkehren?« Friedman gibt kluge Antworten auf alle drei Fragen – und liefert spannende Denkanstöße zur Sicherung der Zukunft unseres Kontinents.

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