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22.07.2016 Nikolas Kessler

Italienischen Banken: Renzis Dilemma

Während in den vergangenen Wochen vor allem das Brexit-Votum und seine Folgen die Schlagzeilen beherrscht haben, ist von vielen unbemerkt ein ganz anderer Krisenherd wieder aufgeflammt, von dem eine noch viel größere Gefahr ausgeht: Bei den italienischen Banken haben sich Reformstau und faule Kredite zu einem Pulverfass entwickelt – und es riecht bereits gefährlich nach glimmender Lunte.

In den Bilanzen der italienischen Banken haben sich faule Kredite im Volumen von 360 Milliarden Euro angesammelt. Damit gelten im Schnitt 18 Prozent der von italienischen Instituten vergebenen Kredite als notleidend, bei einzelnen Banken liegt die Quote jenseits von 40 Prozent. Über die Hälfte davon stammt von Unternehmen, die längst pleite sind. Den Großteil dieser Kredite haben die Banken bereits abgeschrieben, allerdings auf 40 bis 45 Prozent des ursprünglichen Wertes. Die Erfahrung zeigt aber, dass im Insolvenzverfahren häufig bestenfalls noch 20 Prozent zu holen sind. Diese Lücke gilt es zu stopfen. Zu der erdrückenden Kreditlast kommen strukturelle Besonderheiten wie die starke Fragmentierung des italienischen Bankensektors sowie hausgemachte Probleme hinzu: Anstatt die Eigenkaptalquote zu stärken, haben einige Institute bis zuletzt mehr Dividende ausgeschüttet, als sie selbst vom Gewinn behalten haben. Längst überfällige Reformen wurden nur allzu gerne auf die lange Bank geschoben – sei es aus Unwillen oder aus Unfähigkeit.

Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi war als Reformer angetreten, um das marode Bankensystem endlich wieder auf Vordermann zu bringen und so die lahmende Wirtschaft anzukurbeln. Bislang kann er dabei aber kaum Fortschritte vorweisen. Der über vier Milliarden Euro schwere Rettungsfonds Atlante ist bereits nach dem ersten Einsatz – einer Kapitalerhöhung für die Banca Popolare di Vincenza – an seine Grenzen gestoßen. Dass die EZB der altehrwürdigen Banca Monte dei Paschi di Siena kürzlich die Pistole auf die Brust setzte und einen schnelleren Abbau der horrenden Problemkredite forderte, hat die ohnehin angespannte Situation zusätzlich angeheizt. Das Problem: Renzi und die Vertreter der EU können sich bislang nicht auf einen Weg aus der Krise einigen. Der italienische Premier würde die Banken am liebsten nach dem Vorbild Spaniens oder Irlands mit Steuergeld retten und bat kurz nach dem Brexit um grünes Licht für eine Kapitalspritze im Volumen von 40 Milliarden Euro. Das allerdings verbietet die seit Anfang des Jahres gültige EU-Bankenrichtlinie, auf deren Einhaltung Brüssel und Berlin bislang pochen. Diese sieht vor, dass im Sinne eines Bail-ins zunächst die Eigentümer und Gläubiger der Bank haften, ehe Steuergeld fließen kann.

Das wiederum will Renzi um jeden Preis verhindern. Im Dezember kamen die Bail-in-Regeln zur Rettung von vier Regionalbanken zum Einsatz. Um die Institute vor der Insolvenz zu retten, bat die Regierung rund 150.000 Aktionäre und Anleihegläubiger zur Kasse. Die Folge waren wütende Proteste der enteigneten Bevölkerung – und das bei der vergleichsweise läppischen Summe von 750 Millionen Euro. Auch die Erfahrungen in Zypern haben gezeigt, dass ein Bail-in nur in der Theorie funktioniert und in der Praxis am Widerstand der Betroffenen scheitert. Denn während sich Großinvestoren meist gerade noch rechtzeitig zurückziehen, sind Mittelständler und Sparer die Dummen. Zudem wäre im Falle des Bail-ins ein Bank-Run wahrscheinlich, der nicht nur Italien ins Chaos stürzen würde. Das kann sich Renzi aber nicht leisten, denn im Oktober steht ein Referendum über eine Verfassungsänderung auf der Agenda, an das der Premier seine politische Zukunft geknüpft hat. Mehreren Umfrageinstituten zufolge hat die euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung die regierende Partitio Democratico in der Wählergunst bereits überholt. Stürzt die europatreue Regierung Renzi, ist nach dem Brexit- das nächste EU-Austritts-Referendum vorprogrammiert.

Der Ausweg aus dem Dilemma ist verzwickt. Lässt die EU Italien gewähren, ist die Bankenrichtlinie Makulatur. Bleibt sie hart, riskiert sie den Austritt eines Gründungsmitglieds. Einen Königsweg gibt es nicht. Am wahrscheinlichsten ist aber, dass die EU die Bankenrichtlinie extrem weit auslegt und die Hintertür für Staatseingriffe öffnet. Die einzige Alternative wäre, dass die EZB die Notenpresse anwirft – und Geld druckt bis zur Hyperinflation. In jedem Fall ist nun schnelles und entschlossenes Handeln notwendig, um die Abwärtsspirale in Italien zu durchbrechen und die Ansteckungsgefahr für die übrigen Banken in der Eurozone zu verringern.

Nach den heftigen Verlusten der vergangenen Wochen dürften die Bankenkrise und mögliche Kapitalerhöhungen bereits zu einem großen Teil in den Kursen der italienischen Institute eingepreist sein. Zumindest bei der UniCredit hat das entschlossene Auftreten des neuen Vorstandschefs Jean-Pierre Mustier die Talfahrt zuletzt gestoppt. Entsprechend traut DER AKTIONÄR der UniCredit-Aktie erhebliches Erholungspotenzial zu – sofern sich Berlin, Brüssel und Rom auf eine Lösung für das Problem der faulen Kredite einigen können. Bis es soweit ist, bleibt das Risiko von Rückschlägen jedoch hoch.

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Verlag: Börsenbuchverlag
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